„Verlorene Generation“
Grobe Mängel bei ärztlicher Hilfe für junge Flüchtlinge
Wien – Von 90.000 Asylwerbern, die im Vorjahr in Österreich Zuflucht suchten, sind ungefähr ein Drittel Kinder und Jugendliche. 7500 von diesen 30.000 kamen ganz allein, brauchen als sogenannte UMFs (unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) besonders intensive Betreuung. Die gibt es aber von staatlicher Seite kaum, vor allem im gesundheitlichen Bereich gibt es eklatante strukturelle Mängel. „Wenn wir nicht aufpassen, entwickelt sich hier eine verlorene Generation“, warnt der Kinderarzt und Präsident der Österreichischen Liga für Kinderund Jugendgesundheit, Klaus Vavrik. Der diesjährige Jahresbericht der Liga, der am Freitag präsentiert wurde, legt deshalb den Fokus auf die Situation junger Flüchtlinge.
Wie wichtig es ist, Kindern und Jugendlichen bei der Bewältigung von Kriegs- und Fluchttraumata zu helfen, zeigt ein Beispiel aus der Praxis der Psychotherapeutin und Sozialpädagogin Sonja Brauner: Einer ihrer Klienten, heute 16 Jahre alt, wurde während des Krieges in Tschetschenien in einem Keller in Grosny geboren. Die Familie überlebte mit knapper Not den Bombenhagel und später die Flucht nach Österreich. Als er acht war, kam der Bub in Therapie, weil die Volksschule dringenden Bedarf anmeldete.
„Seine Gefühle waren erstarrt“, schildert Sonja Brauner. Es habe Jahre gedauert, bis er stabilisiert gewesen sei, seine Albträume verschwunden seien. „Aber er schaffte es, auf seinen Pflichtschulab- schluss sind er und seine Familie besonders stolz“, so die Psychotherapeutin. Doch jetzt, als es Misserfolge auf der Suche nach einer Lehrstelle gab, kehrte das Trauma zurück. Seine Therapie wird fortgesetzt. „Ein Trauma geht häufig auf die Reise“, erklärt Brauner. Ohne professionelle Hilfe sei das nicht zu bewältigen.
Die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits erinnert an die katastrophalen Zustände im Asylzentrum Traiskirchen im Vorjahr, als Familien unter freiem Himmel schlafen mussten. Die Bundesbetreuung habe völlig versagt. In Wien seien derzeit 1128 UMFs in Betreuung, 231 unter 14-Jährige werden von der Jugendwohlfahrt betreut, ältere Jugendliche sind in Wohngemeinschaften untergebracht.
Impfstoff, Dolmetscher
Im Jahresbericht der Liga sind zahlreiche Betreuungsmängel mit konkreten Beispielen angeführt: So habe etwa eine junge Mutter am Westbahnhof ihr Baby mehr als einen Tag nicht stillen können, weil sie sich so lange in einer Schlange für den Weitertransport anstellen habe müssen. Die gynäkologische Betreuung von Asylwerberinnen in Notquartieren müsse dringend organisiert werden. Es gebe viele Kaiserschnitte, Fehl- und Totgeburten.
Weiters gebe es große Lücken bei der Versorgung mit Impfstoffen, für Behandlungen stünden viel zu wenige Dolmetscher zur Verfügung. Pädiatrische Maßnahmen müssten sofort umgesetzt werden, fordert Vavrik: „Der Bund darf sich nicht mehr drücken.“