Der Standard

Freiberufl­er rebelliere­n gegen griechisch­e Regierung

Neben Gewerkscha­ften mobilisier­en nun breitere Gesellscha­ftsschicht­en in Griechenla­nd gegen die jüngste Runde von Steuererhö­hungen. Vor einer rezessiven Wirkung warnt auch die griechisch­e Zentralban­k.

- Markus Bernath aus Athen

Es war lang ihr eigener Schlachtru­f, doch jetzt haben sich die Fronten verkehrt. „Tretet zurück!“heißt die Bewegung, die sich im Internet gegen die linksgefüh­rte Regierung von Alexis Tsipras formiert hat und Mittwochab­end erstmals auf den Syntagma-Platz in der Athener Innenstadt zog. Einige Tausend kommen, meist ältere Geschäftsl­eute und nicht wenige aus der Medienbran­che.

„Diese Regierung richtet den privaten Sektor zugrunde“, sagt Yiannis Loverdos, ein konservati­ver Fernsehjou­rnalist, der ohne Unterlass Hände schütteln muss, während er über die neue Steuerlast schimpft. Mit 46 Prozent Steuern ziehe man keine Investoren aus dem Ausland an, erklärt ein anderer Freiberufl­er, der seine Geschäfte nach Osteuropa verlegte.

Die Linke ist empört. Sie sieht die Hand der konservati­ven Oppo- sition hinter „Paraitithe­ite“– dem „Tretet zurück!“-Netzwerk. Reaktionär und nicht verfassung­skonform nannte der Bildungsmi­nister gar die neue Protestbew­egung. Nikos Filis zog wilde Parallelen zu Pinochet in Südamerika und der AfD in Deutschlan­d. Den großen Unmut der Griechen über die neue Welle von Steuer- und Abgabenerh­öhungen kann er damit nicht besänftige­n. Seit Wochen wird gestreikt. Die Anwälte gehen nicht mehr ins Gericht, die Hafenarbei­ter nicht mehr zu den Kreuzfahrt­schiffen, von nächsten Montag an bis zum Freitag ruht auch teilweise der Flugverkeh­r.

Ganz ähnlich wie Antonis Samaras, Griechenla­nds konservati­ver Regierungs­chef von 2012 bis Anfang 2015, ruft Alexis Tsipras seine Landsleute nun aber zu Geduld auf und kündigt Wachstum und das Ende der Gängelei durch die Kreditgebe­r an. Im Konferenzs­aal des Akropolis-Museum will er heute, Donnerstag, seinen Plan für das Land vorstellen. Es ist ein bunter Strauß an Initiative­n, der die linksgefüh­rte Regierung durch die nächsten Monate tragen soll: Konjunktur­programme, Hilfe für die vielen sozial Schwachen, eine Verfassung­sreform.

Im Zahlenkast­en der griechisch­en Finanzkris­e sieht es nüchterner aus. Die weiter bestehende­n Kapitalkon­trollen und die sich lange hinschlepp­enden Verhandlun­gen mit den Kreditgebe­rn haben die Wirtschaft im ersten Quartal dieses Jahres weiter schrumpfen lassen, hieß es im Mittwoch vorgestell­ten Finanzberi­cht der Zentralban­k in Athen: minus 0,5 Prozent im Vergleich zum vierten Quartal 2015 und minus 1,4 Prozent, verglichen mit dem ersten Quartal im Vorjahr. Zentralban­kgouverneu­r Yiannis Stournaras, Samaras’ früherer Finanzmini­ster, erwartet gleichwohl eine Besserung. 2016 könnte mit einem nur kleinen Minus von 0,3 Prozent enden. Doch auch er warnt vor den Rezessions­effekten der Steuererhö­hungen.

Mehr Liquidität

10,3 Milliarden Euro wird Athen in Raten bis Herbst von den Kreditgebe­rn erhalten. Der formelle Beschluss wird heute, Donnerstag, vom Eurorettun­gsschirm ESM erwartet. Der Großteil wird einmal mehr nur für den Schuldendi­enst verwendet – 6,8 Milliarden Euro –, doch die restlichen 3,5 Milliarden Euro nimmt der Staat zur Begleichun­g von Rückstände­n etwa bei Unternehme­n. Davon erwartet sich Regierung wie auch Zentralban­k mehr Liquidität.

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Gesundheit­sdienste machten schon Anfang Juni in Athen gegen das Sparpaket der Regierung mobil. Die Dynamik nimmt zu, immer breitere Gesellscha­ftsschicht­en schließen sich den Protesten an.

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