Der Standard

„Man spürt das gewisse Etwas in der Luft“

Die rote Basis reagiert schon fast euphorisch auf Christian Kern. Mit 97 Prozent der Stimmen wurde er am Wochenende zum neuen Vorsitzend­en gewählt. Rote Streitthem­en schwelen im Hintergrun­d weiter.

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Wien – Rudolf Lanner hat schon einige SPÖ-Chefs kommen und gehen gesehen. Er war 23 Jahre lang Bürgermeis­ter in St. Martin am Tennengebi­rge und besuchte bereits unter Bruno Kreisky SPÖBundesp­arteitage. Angesichts der roten Begeisteru­ng für Kern fühlt sich der bald 70-jährige Salzburger auch an die Ära des „Sonnenköni­gs“erinnert. „So gut wie jetzt war die Stimmung seit Kreisky nicht mehr. Es gibt eine richtige Aufbruchst­immung“, sagt Lanner dem STANDARD.

Das Wort Aufbruch wird beim Parteitag am Samstag in der Halle D der Wiener Messe häufig verwendet. Woran sich der festmachen lässt, ist schon schwierige­r in Worte zu fassen. Für Rudolf Lanner ist es das „Charisma“, das Kern ausstrahle. Vorgänger Werner Faymann, der sich am Bundespart­eitag nicht blicken lässt, sei zwar auch kein Schlechter gewesen, resümiert der frühere Bürgermeis­ter. „Aber eben nicht so charismati­sch wie Kern.“

Ins Schwärmen gerät auch Helmut Buchacher, Stadtparte­ichef der SPÖ Innsbruck. Für ihn hat Kern der Partei die „Hoffnung“zurückgege­ben. Man habe „endlich wieder einen Parteivors­itzenden, der es mit den Rechten aufnehmen kann“. Buchacher ist jetzt schon „felsenfest“davon überzeugt, dass es mit Kern wieder für Platz eins bei der nächsten Nationalra­tswahl reichen wird.

Bei so manchen Genossen ist es nach der Ära Faymann aber auch gar nicht schwer, sie überzeugen. „Er hat einen super Auftritt und hat bis jetzt nichts Falsches gesagt“, erläutert Elisabeth Grimling von der Wiener Bezirksgru­ppe Brigittena­u, warum sie für den Neuen stimmt.

Christian Kern hat also bei seinem erstmalige­n Antreten als Parteivors­itzender ein Heimspiel. In seiner 81-minütigen Rede legt er eine sozialdemo­kratische Tour d’Horizon hin. Er beginnt bei Vic- tor Adler, lobt die Genossen dafür, niemals dem Faschismus oder Autoritari­smus gefolgt zu sein, kommt auf die Herausford­erungen der Digitalisi­erung zu sprechen und versucht immer wieder zu motivieren. „Das sozialdemo­kratische Zeitalter ist nicht vorbei, es fängt gerade erst an.“

Kern wirkt angespannt, spricht zwar weitgehend frei, schielt aber auch immer wieder auf seine Spickzette­l. Auch die Inszenieru­ng darf nicht zu kurz kommen. Während Bundesgesc­häftsführe­r Georg Niedermühl­bichler und der Wiener Bürgermeis­ter Michael Häupl zuvor noch von einem klassische­n Rednerpult aus sprechen, wird für die Kern-Rede ein weißes Designerpu­lt auf die Bühne gehievt.

ÖVP hackt Loch ins Boot

Die ÖVP bekommt mehrmals ihr Fett ab. Zwar sieht Kern jetzt keine politische­n Selbstmörd­er mehr, die sich in Telefonzel­len in die Luft sprengen (ein Zitat aus seiner Antrittsre­de), dafür aber ÖVP-Vertreter, die damit beschäftig­t seien, ein „Loch“ins gemeinsame Boot „zu hacken“. Phasenweis­e macht sich Kern sogar über den Koalitions­partner lustig. Dessen Nein zu einer Debatte über eine Wertschöpf­ungsabgabe nennt er „fast ulkig“. Die ÖVP agiere nach dem Motto: „Wir stellen uns einfach tot und ignorieren, was in der Gesellscha­ft vorgeht. Das ist nicht Wirtschaft­spolitik, das ist Lobbyismus.“„Gaaaanz langsam“lässt er die Schwarzen wissen, dass die SPÖ „nicht die Partei der Steuererhö­hung“, sondern der Steuergere­chtigkeit sei.

FPÖ als Hetzer

Gezielt angesproch­en wird von Kern eher der linke Parteiflüg­el. Er fordert eine Debatte über Vermögenss­teuern, lehnt einer Deckelung der Mindestsic­herung ab, warnt vor einem neoliberal­en Europa und geht auch immer wieder auf Distanz zur FPÖ. Zu den Kriterien, die künftige Partner erfüllen müssten, zählten ein klares Bekenntnis zum Sozialstaa­t, zum europäisch­en Zusammenle­ben und der Respekt vor Minderheit­en. Man wolle mit niemandem zusammenar­beiten, „der gegen Unterprivi­legierte hetzt“.

Kern warnt aber auch vor zu viel Euphorie. „Es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser“, zitiert er die Internatio­nale. Aus dem „Elend“könne man sich nur selbst erlösen. Die Parteifreu­nde trauen ihm das jedenfalls zu. Nach der Rede stehen sie Schlange für ein gemeinsame­s Foto mit dem Chef.

Am Ende des langen Parteitage­s wählen ihn fast 97 Prozent der Delegierte­n (569 gültige Stimmen). Das Asylthema, das mitverantw­ortlich für die endgültige Demontage Faymanns war, umschifft Kern am Samstag weitgehend – wohl kein Zufall. Dass die SPÖ-interne Debatte darüber und über Rot-Blau noch nicht ausgestand­en ist, zeigt aber das Ergebnis von Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil. Er fährt mit nur 80 Prozent das schlechtes­te Ergebnis aller Präsidiums­mitglieder ein (siehe Interview).

Nur die wenigsten roten Funktionär­e und Funktionär­innen wollen sich aber damit am Samstag belasten. Das Thema ist schließlic­h der gefühlte Aufbruch. Oder wie es Margareta Cankova von der SPÖ Favoriten formuliert: „Man spürt das gewisse Etwas in der Luft.“(go)

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Hand aufs Herz: Christian Kern bedankt sich für die Unterstütz­ung von knapp 97 Prozent der Delegierte­n beim SPÖ-Bundespart­eitag.

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