Da die bittere Pille, dort der Zuckerhut
Drei Läufer aus Österreich könnten den olympischen Marathon im August in Rio de Janeiro schmücken. Doch das ÖOC nimmt sie wahrscheinlich nicht mit. Das sorgt für Aufregung in der Leichtathletik. Von Limits und Relationen.
Amsterdam/Wien – Wieso sollte, wenn sich die vielbesungenen Gräben durchs ganze Land ziehen, ausgerechnet die Leichtathletik ausgenommen sein? Ein Streit um nationale Limitzeiten und internationale Normen spaltet derzeit die Szene. Im Zentrum stehen die drei Marathonläufer Edwin Kemboi, Lemawork Ketema und Valentin Pfeil. Sie alle wurden dem Österreichischen Olympischen Komitee ( ÖOC) vom Leichtathletikverband (ÖLV) bereits im Mai zur Nominierung für die Sommerspiele im August in Rio vorgeschlagen. Doch das ÖOC ist dem Vorschlag bis dato nicht gefolgt, und es deutet wenig darauf hin, dass die Verantwortlichen ihre Meinung noch ändern könnten.
Dabei haben Kemboi, Ketema und Pfeil das internationale Limit locker erfüllt. Es liegt bei exakt 2:19 Stunden, das ist auch im Vergleich zu anderen Limits sehr hoch angesetzt, was daran liegt, dass das Teilnehmerfeld im Marathon nicht wie in den meisten anderen Bewerben möglichst klein gehalten sein muss. Die Veranstalter würden gerne hundert Läufer am Start sehen. Das ÖOC allerdings hatte 2:14 Stunden als nationale Norm vorgeschrieben, es hielt sich dabei genau an die Kriterien, die schon vor London 2012 gegolten haben.
Im ÖLV gibt man die Hoffnung nicht auf, dass das Trio dennoch berücksichtigt wird. Nicht zuletzt könnten Kemboi, Ketema und Pfeil bei der Leichtathletik-EM in Amsterdam für sich selbst werben, wenn sie am Sonntag im Halbmarathon gute Zeiten und ein gutes Teamergebnis erzielen. Kemboi (32), in Kenia geboren und mit einer Österreicherin verheiratet, ist dem ÖOC-Limit am nächsten gekommen, als er im Jänner 2015 in Dubai 2:14:05 lief, also nur fünf Sekunden zu langsam war. Er hat außerdem im November 2015 in Valencia (2:15:07) und heuer bei eher widrigen Bedingungen in Rotterdam (2:15:47) passable Zeiten erzielt.
Ketema (29), der aus Äthiopien nach Österreich geflüchtet ist, kam im Juli 2015 in Rio de Janeiro – nicht auf dem olympischen, sondern auf einem schwierigeren Kurs – auf 2:14:23. Heuer stehen 2:16:19 aus Hamburg zu Buche, auch dort war es stürmisch. Pfeil (27) hat heuer in Wien debütiert, 2:16:37 waren bei starkem Gegenwind respektabel.
Bemerkenswert ist, dass im ÖLV die zehnköpfige Sportkommission zwar einstimmig be- schloss, die drei Marathonläufer zur Olympia-Nominierung vorzuschlagen – dass aber der ehemalige Hindernis- und Langstreckenläufer Günther Weidlinger als „ÖLV-Teamleiter Lauf“sich dagegen aussprach. „Für den Günther ist Limit halt Limit“, sagt ÖLV-Sportdirektor Hannes Gruber. „In dem Punkt ist er aber nicht auf Verbandslinie.“
Gruber geht davon aus, dass das ÖOC, das am 15. Juli das endgültige Team nennt, eher über seinen Schatten springen würde, wenn es nicht um drei, sondern nur um einen Läufer gehen würde. Wobei – Schatten? Kurz nach seinem Amtsantritt hatte ÖOC-Präsident Karl Stoss im Standard- Interview gesagt: „Wer die internationalen Kriterien erfüllt, hat eine Berech- tigung mitzufahren.“An den Mitteln sollte eine Nominierung der Marathonläufer insofern nicht scheitern, als sich die ÖOC-Hoffnung auf 80 Sportlerinnen und Sportler in Rio nicht erfüllen dürfte. Nach derzeitigem Stand ist Österreich mit 65 bis 70 Aktiven olympisch vertreten.
Was Ketema angeht, bekommt die Geschichte eine zusätzliche Note. Natürlich freute er sich, als er im Dezember eingebürgert worden war. Würde er freilich nach wie vor unter „Flüchtling“laufen, hätte er einen Fixplatz im „Refugees-Team“, das vom IOC für Rio nominiert wurde. Dabeisein ist in dem Fall alles, etwa für den in Luxemburg lebenden Äthiopier Yonas Kinde, dessen Marathon-Bestzeit bei 2:17:31 Stunden steht.