Berlins Politik verheddert sich im Häuserkampf
Der schwarze Innensenator ist für Härte, der rote Bürgermeister schwankt: In Berlin wird die Räumung eines besetzten Hauses zum Albtraum im Wahlkampf.
REPORTAGE: Knappe Shorts, T-Shirt, Badelatschen. Bert ist – verständlich bei der Berliner Sommerschwüle – leicht bekleidet. Kein Kleidungsstück hat eine Tasche, also hält er den Personalausweis in der Hand. Den braucht der junge Berliner, wenn er in seine Wohnung will. Denn Bert hat das Pech, im zurzeit berühmtesten Haus der deutschen Hauptstadt zu wohnen: der Rigaer Straße 94, kurz Rigaer 94.
„Es geht mir so was von auf die Eier“, sagt er und schüttelt den Rastalockenkopf. „Nur noch Polizei vor dem Haus, ewig die Kontrollen, ein einziger Polizeistaat ist das.“Die Umstehenden nicken zustimmend. Von „Wahnsinn“ist zu hören, von „Willkür“und „Schikane“. Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) sieht es übrigens genauso – aber er meint natürlich andere damit.
In der Rigaer 94, im Ostberliner Stadtteil Friedrichshain, tobt erbittert ein Kampf, der fast schon ein wenig gestrig wirkt. Auf der einen Seite Hausbesetzer, auf der anderen der „böse“Investor, unterstützt durch den Staat.
Früher einmal war die Straße ein Zentrum der autonomen Szene in Berlin. Dann wurde ein Haus nach dem anderen auf neuberlinerisch-schick saniert, und das übriggebliebene Haus Nummer 94 zum Herz der Szene. Es wohnen dort durchaus Menschen – wie Bert – mit Mietvertrag. Doch nach und nach siedelten sich auf den Dachboden und in der Werkstatt auch jede Menge Bewohner ohne Mietvertrag an.
Bis der Investor kam. Kein Mensch hat ihn je gesehen, seine Firma sitzt in einem Briefkasten auf den Britischen Jungferninseln. Er ließ die besetzten Flächen mit einem Großaufgebot von Polizei räumen, was bei legalen und illegalen Bewohnern der Rigaer Straße für Empörung sorgte. „Die kamen rein wie eine Besatzungsmacht und haben alles zerstört“, klagt einer von ihnen.
Rechtsstaat missachtet
Innensenator Henkel jedoch ist überzeugt, dass dies der richtige Kurs war. Denn der Verfassungsschutz, der das Gebäude im Blick hat, stellt in seinem Bericht fest, dass von diesem Haus der Versuch „der Oktroyierung eigener Politikvorstellungen unter offensiver Missachtung rechtsstaatlicher Normen und Gesetze“ausgeht. Unsinn, sagen die Bewohner. Man wohne friedlich im Kollektiv, koche vegan, alles sehr chillig.
Der harte Kern der autonomen Szene jedoch fasste die Räumung als „Kriegserklärung“auf. Nacht für Nacht brennen in Berlin seit Wochen Autos. Am Samstag, bei einer Demo in der Rigaer, kam es zu Krawallen, 123 Polizisten wurden verletzt, es gab 86 Festnahmen und mehr als 100 Strafverfahren. Fazit der Autonomen im Internet über die Polizisten: „Die meisten der Schweine wirkten wie im Kokainrausch!“
Auch Henkel sparte nicht mit harten Worten und bezeichnete diese gewalttätigsten Ausschreitungen seit fünf Jahren als „linke Gewaltorgie“. Seine Antwort darauf: volle Härte des Staates. Schließlich wählt Berlin am 18. September. Derzeit regiert eine rot-schwarze Koalition, und Henkel würde gerne den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) aus dem Roten Rathaus vertreiben. Also ist die Rigaer Straße voller Polizeikräfte. Die meisten stehen vor dem Eingang Nummer 94, unter folgender Aufschrift auf der bunten Wand: „Unsere Leidenschaft für die Freiheit ist stärker als jede Autorität.“
Nachbarn sind genervt
„Eine Unverschämtheit sind diese Polizeimassen“, sagt eine Mittvierzigerin, die im Nachbarhaus des besagten Gebäudes wohnt, „wir werden hier alle kriminalisiert. Und das muss auch ich noch mit meinen Steuergeldern mitfinanzieren.“Die Einsatzkräfte hingegen beklagen sich über Urinflaschen, die aus Fenstern auf sie geworfen werden.
Am Dienstag haben Anwohner eine spontane Pressekonferenz einberufen. Sie fordern „Deeskalation von beiden Seiten“und einen Runden Tisch aller Beteiligten. Aber das dürfte schwierig werden. Bürgermeister Müller hat zunächst – zum Leidwesen des Innensenators – auf Dialog statt Repression setzen wollen, mit dem Hinweis, das funktioniere auch bei jenen Chaoten, die alljährlich am 1. Mai randalieren wollen.
Doch nach der Gewaltnacht vom Wochenende sagt auch er: „Ich glaube, dass im Moment nicht die Zeit ist für Runde Tische.“Auch auf der anderen Seite gibt es keinen Gesprächsbedarf. „Niemand von uns wird Vertreter/innen des Staates verhandeln“heißt es auf der einschlägigen Website indymedia. Wie es in der Rigaer Straße weitergeht, ist unklar.