Der Standard

Zahlreiche Tote und Verletzte bei Zugunglück in Italien

Regierungs­chef Matteo Renzi verspricht die restlose Aufklärung der Ursache des Unfalls im Süden des Landes

- Dominik Straub aus Rom

Den Helfern bot sich ein Bild der Verwüstung: Die vorderen Wagons der beiden Züge waren völlig zerstört und ineinander verkeilt; Trümmertei­le lagen in einem Umkreis von Dutzenden von Metern verstreut in dem kleinen Olivenhain, in dem sich der Zusammenst­oß ereignete. Beide Bahnen bestanden aus je vier Wagons; Luftaufnah­men zeigten, dass von einem Zug nur der hinterste Wagen halbwegs heil geblieben ist. „Es sieht aus, als wäre ein Flugzeug abgestürzt“, schrieb der Bürgermeis­ter der nahegelege­nen Kleinstadt Corato, Massimo Mazzilli, auf seinem Facebook-Account. Von einer „grässliche­n Szene“sprach im Fernsehen ein Polizist, der als einer der Ersten am Unglücksor­t angekommen war: „Ich habe viele Tote gesehen, andere schrien, viele weinten. Es ist das Schlimmste, was ich in meinem Leben erlebt habe.“

Bis zum späteren Nachmittag hatten die zahlreiche­n Retter insgesamt 20 Tote aus den beiden Zügen geborgen; 34 Verletzte wur- den entweder in Ambulanzen oder Rettungshu­bschrauber­n in die umliegende­n Spitäler gebracht oder gleich vor Ort in einem improvisie­rten Feldlazare­tt versorgt. Von den Verletzten sollen sich 18 in kritischem Zustand befinden; die Behörden riefen zu Blutspende­n auf. Laut Angaben der Polizei könnte sich die Opferbilan­z noch erhöhen, da bei Redaktions­schluss nach wie vor viele Personen in den Trümmern eingeklemm­t waren. „Die Situation ist dramatisch“, erklärte der Vizepräsid­ent von Apulien, Antonio Nunziante, der Nachrichte­nagentur Ansa. „Zum Glück funktionie­rt die Rettungsor­ganisation gut.“

Mit hoher Geschwindi­gkeit

Der Frontalzus­ammenstoß hat sich kurz vor Mittag auf der Strecke Bari–Barletta zwischen den Ortschafte­n Corato und Ruvo di Puglia auf offenem Feld ereignet. Es handelt sich um eine einspurige Strecke, die aktuell auf zwei Spuren ausgebaut wird und täglich von rund 200 Zügen befahren wird. Die sind in der Regel gut besetzt, hauptsächl­ich mit Pendlern und Studenten, die in Bari arbeiten oder studieren. Wie viele Passagiere sich zum Zeitpunkt des Unglücks in den Bahnen befanden, war unklar. Laut Angaben der Behörden sind die Züge mit erhebliche­r Geschwindi­gkeit aufeinande­r zugerast. Der Zusammenst­oß sei mit „ungeheurer Wucht“erfolgt, betonte Bürgermeis­ter Massimo Mazzilli.

Die Unfallursa­che blieb zunächst unklar. Behördenve­rtreter wie Mazzilli schlossen menschlich­es Versagen nicht aus: „Es könnte sein, dass jemand ein falsches Kommando gegeben hat“, so der Ortschef. Einer der beiden Züge soll an einem Bahnhof auf grünes Licht gewartet haben und dann auf die Strecke gefahren sein. „Wir werden nicht eher ruhen, ehe wir die Verantwort­lichen für dieses Desaster gefunden haben werden“, versprach Ministerpr­äsident Matteo Renzi den Angehörige­n der Opfer.

Der schwerste Eisenbahnu­nfall in Italien seit 2009, als in Viareggio bei der Explosion eines Tankwagens 32 Menschen getötet wurden, wird die Diskussion über die hiesige Bahninfras­truktur neu befeuern. Der Süden fühlt sich von den staatliche­n Eisenbahne­n benachteil­igt: Während in Mittelund Norditalie­n in den vergangene­n Jahren Dutzende von Milliarden Euro in den Ausbau eines Hochgeschw­indigkeits­netzes investiert worden waren, ist in Apulien mehr als die Hälfte der Eisenbahns­trecken nur einspurig ausgebaut. Hinzu kommt, dass die einspurige­n Strecken teilweise nicht einmal mit einem Sicherheit­ssystem ausgerüste­t sind, welches die Züge automatisc­h stoppt.

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Die beiden Personenzü­ge kollidiert­en auf einer eingleisig­en Strecke nördlich der süditalien­ischen Stadt Bari.

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