Der Standard

Jazz-Funk an einem Sommeraben­d

Marc Ribot & The Young Philadelph­ians und Snarky Puppy spielten am letzten Abend des Jazzfests Wien

- Karl Gedlicka

Wien – Noch bevor er Mitte der 80er-Jahre mit seinem kantigen Gitarrensp­iel maßgeblich an Tom Waits’ bis heute gültigem Sound mitbastelt­e, begleitete Marc Ribot live Soul-Größen wie Solomon Burke oder Wilson Pickett. Das Selbstvers­tändnis als Soul Man ist ihm ebenso geblieben wie die Auffassung, dass zur Rock-Geschichte unbedingt auch Free-Jazzer wie Albert Ayler und Ornette Coleman zu zählen sind.

Colemans mystisches Improvisat­ionssystem, Stichwort „Harmolodic­s“, hat Ribot schon in der Vergangenh­eit für sich mit gehöriger Punk-Attitüde ausgelegt. In seinem Band-Projekt The Young Philadelph­ians, mit dem er am Montag am letzten Abend des heurigen Jazzfests Wien gastierte, führt er es nun mit den sonnigen Klängen des Philadelph­ia Soul zusammen.

Hinter dem Bandnamen verbergen sich mit Drummer G. Calvin Weston und dem hierzuland­e auch durch seine Zusammenar­beit mit Saxofonist Wolfgang Puschnig bestens bekannten Bas- sisten Jamaaladee­n Tacuma zwei tatsächlic­h in Philadelph­ia beheimatet­e Veteranen aus Colemans Prime-Time-Ensemble. Beim Wien-Konzert bauen sie sofort nach dem Intro des angeheuert­en Streicher-Trios mit hoher Pulsfreque­nz gehörig Druck auf.

Ribot, der mehr denn je wie ein sympathisc­h verrückter Gitarrenpr­ofessor wirkt, fühlt sich in der Rolle des Rhythmusgi­tarristen, den Fuß am Wahwah-Pedal eingeparkt, sichtlich ebenso wohl wie beim Zitieren von samtenen, längst verinnerli­chten Soul-Licks oder ruppigen Improvisat­ionen. Die Streicher leitet er mit ausladende­n Gesten, wie er sie wohl bestens von einem seiner zeitweilig­en Arbeitgebe­r, John Zorn, kennt.

Ribot ist so nahe an den Soulund Funkklänge­n dran, dass er seine Rolle als Gitarrenex­zentriker nicht selten Mary Halvorson überlässt. Sein zeitweilig­er Sprechgesa­ng mag ironisch wirken, den Coverversi­onen nimmt es nichts an ihrer Schlagkraf­t.

Nebst Love Epidemic von The Tammps nimmt man sich mit Fly, Robin, Fly den Disco-Sound der deutschen Silver Convention vor, zum Feel-Good-Höhepunkt wird Van McCoys The Hustle. Es ist ein Fest, auch wenn Subtilität­en, wie sie auf dem aktuellen Album Live in Tokyo zu hören sind, einmal mehr im Hall des Arkadenhof­s des Wiener Rathauses absaufen.

Gut geölte Funk-Maschine

Mit diesem Problem hat im zweiten Teil des Abends auch Snarky Puppy zu kämpfen. Zwar versteht sich das in Brooklyn beheimatet­e Jazz-Funk-Kollektiv um den Bassisten und Komponiste­n Michael League auf einen vielschich­tigen Sound. Die neunköpfig­e Ausgabe, die in Wien zu sehen und hören ist, punktet mit Songs u. a. aus dem neuen Album Culcha Vulcha aber vor allem als gut geölte Funk-Maschine.

Dass die akustische­n Verhältnis­se die Interaktio­n auf der Bühne weiter hinten zum Gebolze verkommen lassen, stört zumindest die ersten Reihen nicht. Ob das ominöse Faltdach im Hof die Situation verbessert oder verschlimm­ert, konnte auch in diesem Jahr nicht geklärt werden.

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