Sie tanzen sich in eine gefährliche Stimmung
Dieses Jahr kommen die Publikumsfavoriten bei Impulstanz wieder. Anne Teresa De Keersmaeker zum Beispiel, Wim Vandekeybus oder Marie Chouinard. Eröffnet wird das Festival am 14. Juli mit einem Stück der herausragenden Französin Maguy Marin: „BiT“.
Wien – Im zeitgenössischen Tanz reüssieren bedeutend mehr Choreografinnen, als dies Regisseurinnen im zeitgenössischen Sprechtheater tun. Das hat mehrere Gründe: Der Tanz ist institutionell geringer verankert (weniger Postenschacher) und folglich auch weniger hierarchisch strukturiert.
Es ist weniger Geld im Spiel, und der Tanzbereich ist insgesamt internationaler und diverser geprägt. Zudem haben sich viele Choreografinnen ihren eigenen Weg vom Selbertanzen weitergebahnt. So auch Maguy Marin.
Die Französin (65) wurde vor wenigen Wochen von der Biennale Venedig mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk geehrt. Nach ihrer Ausbildung im klassischen Ballett und nach Anfangsjahren als Tänzerin beim Théâtre National Straßburg sowie später bei Maurice Béjarts Ballet du XXe siècle in Brüssel hat sie begonnen, ihrer Affinität zum Tanztheater in eigenen Choreografien Ausdruck zu verleihen. Schon 1981 legte sie mit dem Beckett-Stück May B ihr Meisterwerk vor, ein geradezu visionärer Wurf, der nicht nur das französische Tanzschaffen der 1980er-Jahre beflügelte.
Mag Maguy Marin auch nicht so stilbildend wirken, wie es Pina Bausch von Deutschland aus gewesen ist, so wird Marin doch zu Recht als deren französisches Pendant bezeichnet. Theatrale Settings, Figurengestaltung und insbesondere eine von Musik getragene Narration charakterisieren ihre Werke.
Mit dem Komponisten Denis Mariotte verbindet Marin eine intensive künstlerische Partnerschaft; ab 1989 entstanden mehr als zwanzig gemeinsame Arbeiten. Mitunter setzten die Tänzerinnen und Tänzer die Musik live selbst um – körperliche und musikalische Bewegung wurden eins.
Maguy Marin hat mit Stücken wie Umwelt (2004) oder Description d’un combat (2009) bewiesen, dass sie über die Jahre eine wagemutige Künstlerin geblieben ist.
In einer Filmdokumentation über sie und ihre Arbeitsweise wirkt sie kämpferisch und elegant zugleich, wie eine Tochter von Agnès Varda.
Volkstanz Farandole
Wie sehr sich Marin für das Weiterentwickeln ihrer eigenen Kunstsparte interessiert, mag man an ihrer Laboradresse ablesen.
Seit einigen Jahren ist das interdisziplinäre Kunstzentrum Ramdam in Sainte-Foy-lès-Lyon Heimstätte der Kompanie. Hier kollaboriert die Choreografin mit bilden- den Künstlern, Musikern, Regisseuren.
Geschlechterverhältnisse thematisiert sie in ihrem jüngsten Stück BiT, das das diesjährige Impulstanz-Festival mit SirtakiKlängen eröffnet. Genauer: Zugrunde liegt BiT der historische provençalische Volkstanz Farandole, ein paarweise in einer offenen Kette und in schnellen 6/8Rhythmen getanzter Reigen.
Bedeutsam ist dabei der Titel: „bite“ist ein vulgärfranzösisches Wort für Penis. Die Party könnte also sexuell gesteuert sein, und sie könnte aus dem Ruder laufen.
Ende 2014 in Lyon uraufgeführt, wurde BiT von der Fachzeitschrift Tanz zum „Stück des Jahres 2015“gekürt. Die Musik dafür stammt von Charlie Aubry. >> „BiT“, Volkstheater, 14. 7., 21.00