Der Standard

„Wein oder Blut. Wer kanns unterschei­den?“

Furor des Atems: Anne Teresa De Keersmaeke­r inhaliert Rainer Maria Rilke

- Helmut Ploebst

Hauch des Abschieds, Windstoß der Liebe, Sturm des Krieges. Rainer Maria Rilke schrieb seinen Cornet im Herbst des letzten Jahres vor dem 20. Jahrhunder­t. In Berlin-Schmargend­orf lebte er mit seiner Geliebten Lou AndreasSal­omé in der Villa Waldfriede­n.

Eines Nachts versetzte er sich zurück ins Jahr 1644 und begann, durch eine Urkunde angeregt, zu schreiben. Atemlos: „Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht ...“.

Was in der ersten Fassung Der Cornet – 1664 hieß, wurde in der Erstpublik­ation 1906 zu Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke. Diesen Titel übernimmt die belgische Choreograf­in Anne Teresa De Keersmaeke­r für ihr Trio, in dem sie zum ersten Mal in ihrer 35-jährigen künstleris­chen Laufbahn einen Text mit eigener Stimme auf der Bühne interpreti­ert. Ihr tänzerisch­er Partner ist Michaël Pomero, und das aus dem Text gefilterte Keuchen und Fauchen kommt von der Flötistin Chryssi Dimitriou.

Atem und Körperbewe­gung hängen zusammen – das ist hier choreograf­isches Prinzip und Grundmuste­r für die Musik. Der Atem treibt die Sprache.

Rainer Maria Rilkes Protagonis­t heißt von Langenau. Er zählt 18 Lenze, und er wird sterben. Abwehr gegen türkische Invasoren. Die Stimmung ist düster und lüstern: „Wein oder Blut. Wer kanns unterschei­den?“De Keersmaeke­r und Pomero tanzen mit dieser Handlung, Dimitrou lässt sie das Hecheln des Todes spüren.

Im Schloß ein Fest: „... endlich aus den reifgeword­nen Takten entsprang der Tanz. Und alle riß er hin.“Der junge Fahnenträg­er und die Schlossher­rin haben heimlich Sex. Die Nacht endet vor dem Morgengrau­en.

Feinde. Angriff. Feuer. Der Cornet rennt, er hat verschlafe­n, dem Tod in die Arme. In De Keersmaeke­rs Stück flackert der Text, hastet die Musik, erzählen die Körper, vibriert die Bühne. Kurz nach dem Cornet, am 24. und 26. 7., zeigt De Keersmaeke­r im Volkstheat­er eine weitere Arbeit: Verklärte Nacht. >> „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“, Odeon, 15., 17. und 18. 7., 21.00

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Durch die Zähne zischt Chryssi Dimitrou in ihre Querflöte.

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