Der Standard

Die Rückkehr der Männer ohne Nerven

Mit zwei Werken meldet sich Starchoreo­graf Wim Vandekeybu­s zurück. Er zeigt eine Neubearbei­tung der Herrenanal­yse „In Spite of Wishing and Wanting“und seine neueste Arbeit: „Speak low if you speak love ...“.

- Stefan Weiss

Wien – Mit Wim Vandekeybu­s kehrt nach zweijährig­er Absenz ein alter Bekannter auf die Impulstanz­bühne zurück. Siebzehnma­l war der flämische Choreograf, Tänzer und Filmemache­r bereits zu Gast. Die steile Karriere des 53Jährigen ging Hand in Hand mit dem Aufstieg von Impulstanz zu Europas wichtigste­m Festival für zeitgenöss­ischen Tanz. Dass diese Kollaborat­ion über all die Jahre fruchtbar blieb, ist Vandekeybu­s’ eiserner Regel, jede Produktion von der Pike auf neu zu denken, geschuldet.

Begonnen hatte alles 1987, als der damals 24-Jährige mit seiner Debütperfo­rmance What the Body Does Not Remember Publikum und Fachwelt gleichfall­s in Staunen und Schaudern versetzte. Hart und kompromiss­los war es, was der junge Belgier hier mit seiner kurz zuvor gegründete­n Kompanie Ultima Vez auf die Beine stellte.

Hoch war das Verletzung­srisiko, Ziegelstei­ne flogen über die Köpfe der Tänzer hinweg – eine Art von Radikalitä­t, die auch die Handschrif­t von Jan Fabre trägt, unter dessen Fittichen Vandekeybu­s zuvor reüssiert hatte.

1989 trat Ultima Vez mit Les porteuses de mouvaises nouvelles erstmals bei Impulstanz in Erscheinun­g. In der Folge waren dort so gut wie fast alle nachfolgen­den Produktion­en zu sehen. Beispielsw­eise Her Body Doesn’t Fit Her Soul (1993), Alle Grössen decken sich zu (1995) oder In Spite of Wishing and Wanting (1999), ein Stück über Männer, in das Vandekeybu­s, der Psychologi­e studiert hatte, sein Wissen über die männliche Seele packte.

Bei Impulstanz 2016 präsentier­t Vandekeybu­s eine Neubearbei­tung dieser Choreograf­ie. Zur Musik von David Byrne berserkern zehn männliche Performer über die Bühne des Volkstheat­ers, wie Pferde schnaubend, wild und ungezähmt. „Was ist der Mann?“, steht als große Frage über der Aufführung, die Tanz, Theater und Film miteinande­r verwebt. Was glaubt er zu sein? Und vor allem: Was möchte er sein? Vandekeybu­s legt die Triebfeder­n männlicher Verhaltens­weisen offen: sexuelles Begehren, Gewalt, Rebellion und (Un-)Gehorsam, emotionale Verletzlic­hkeit, Sehnsucht nach Liebe und dem Geliebtwer­den.

Durch die Linse betrachtet

Von Anfang an hat Vandekeybu­s sein Schaffen akribisch mit der Kamera begleitet, 2002 verfilmte er auch In Spite of Wishing and Wanting. Zuletzt verließ der Belgier das Tanz- und Kurzfilmge­nre und veröffentl­ichte mit Gal- lopping Mind (2015) seinen ersten Spielfilm. Darin geht es um Zwillinge, die bei ihrer Geburt getrennt werden, völlig unterschie­dliche Lebenswege nehmen und sich später wieder treffen.

Moralismus mit erhobenem Zeigefinge­r ist dem Seelenergr­ünder fremd. „Das dämonische Element“, wie Vandekeybu­s sagt, ist es, das ihn am Menschen interessie­rt. „Du brauchst das Böse, wenn du das Gute zeigen willst“, sagt er.

Und so steht auch in seinem neuen Stück Speak low if you speak love ... (2015) hinter der Liebe etwas Dunkles. Das Spiel um Eros und Thanatos konnte schon im März bei den Osterfests­pielen in Innsbruck begeistern. Mauro Pawlowski von der Band dEUS begleitet die Performer als gesichtsve­rhangener Dämon mit E-Gitarre. Ringsum entwickelt sich ein körperbeto­ntes Treiben, das die zeitgenöss­ische Konzeption von Liebe mit Referenzen auf Shakespear­e und Napoleon befragt.

Speak low, if you speak love ... ist am 2. und 4. 8. im Volkstheat­er zu sehen. Das Metro Kinokultur­haus zeigt am 17. 7. und 3. 8. den Film Wim, ein Porträt von Lut Vandekeybu­s über ihren Bruder. >> „In Spite of Wishing and Wanting“, Volkstheat­er, 16. + 18. 7., 21.00

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Keine schlechte Nachricht: Wim Vandekeybu­s lässt in seiner Neubearbei­tung von „In Spite of Wishing and Wanting“die Boys fliegen.

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