Der Standard

Hofburg-Wahl: Verfassung­sgericht legt Urteil vor

Summe der betroffene­n Stimmen weicht von mündlicher Verkündung ab

- Maria Sterkl

Wien – 175 Seiten stark ist die schriftlic­he Version einer der wohl umstritten­sten Entscheidu­ngen des Verfassung­sgerichtsh­ofes (VfGH): Die Aufhebung der Bundespräs­identensti­chwahl wurde am Mittwoch in schriftlic­her Form veröffentl­icht.

Vieles, aber nicht alles deckt sich mit der mündlichen Verkündung. Wie schon am 1. Juli schmettert auch die schriftlic­he Fassung das von vielen Kritikern geäußerte Argument, das Beweisverf­ahren habe keine Hinweise auf Manipulati­onen geliefert und ein striktes Festhalten an der bisherigen Judikatur sei daher reiner Formalismu­s, ab. Es sei im Verfahren nämlich gar nicht darum gegangen, Hinweise auf Unregelmäß­igkeiten zu finden – sondern nur darum, ob Wahlvorsch­riften verletzt wurden. Zwar hätten auch die Protokolle der Bezirkswah­lbehörden bestätigt, dass alles rechtens abgelaufen sei – doch Zeugenauss­agen hätten bestätigt, dass diese Niederschr­iften wohl selbst nicht ganz korrekt zustande gekommen seien.

Auch der Einwand vieler Kritiker, dass selbst im Fall von Manipulati­onen ein Verfälsche­n des Wahlergebn­isses im großen Stil statistisc­h völlig unwahrsche­inlich sei, prallt am Festhalten des Gerichtsho­fs an der eigenen jahrzehnte­langen Judikatur ab: Demnach dürfen die Richter gar nicht darüber nachdenken, wie wahrschein­lich eine bestimmte Art von Manipulati­on sei. Sie seien vielmehr verpflicht­et, „alle theoretisc­h möglichen Fälle von Manipulati­onen und Missbräuch­en in Betracht zu ziehen“– und zwar auch von Manipulati­onen „durch den die Wahl organisier­enden Staat selbst“.

Ganz irrelevant ist die Wahrschein­lichkeit einer Verfälschu­ng dann aber doch nicht, wie die Zahlenspie­le der Verfassung­srichter zeigen: Schon bei der mündlichen Verkündung gab Präsident Gerhart Holzinger an, es seien „77.926 Briefwahls­timmen“von Rechtswidr­igkeiten in insgesamt 14 Bezirken betroffen. Nun heißt es schriftlic­h, es gehe schon in elf von 14 schlampige­n Bezirken um 77.796 betroffene Stimmen – und das übersteige die Stimmendif­ferenz zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer schon in einem so großen Ausmaß, dass man die übrigen drei Bezirke erst gar nicht auszurechn­en brauche. Der VfGH bleibt auch schriftlic­h bei der vielkritis­ierten Annahme, dass theoretisc­h ein Ergebnis „100 Prozent für Norbert Hofer“denkbar sei.

Zur Frage der nunmehr rechtswidr­igen Weitergabe von Sprengeler­gebnissen vor Wahlschlus­s an Medien und Forschungs­institute heißt es, diese widersprec­he dem Grundsatz der freien Wahl.

Bewegung gibt es in puncto Wahlrecht: Am Mittwoch haben die Verfassung­ssprecher von SPÖ und ÖVP ihren Antrag für eine Wahlrechts­reform dem Verfassung­sausschuss zugewiesen.

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