Hofburg-Wahl: Verfassungsgericht legt Urteil vor
Summe der betroffenen Stimmen weicht von mündlicher Verkündung ab
Wien – 175 Seiten stark ist die schriftliche Version einer der wohl umstrittensten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes (VfGH): Die Aufhebung der Bundespräsidentenstichwahl wurde am Mittwoch in schriftlicher Form veröffentlicht.
Vieles, aber nicht alles deckt sich mit der mündlichen Verkündung. Wie schon am 1. Juli schmettert auch die schriftliche Fassung das von vielen Kritikern geäußerte Argument, das Beweisverfahren habe keine Hinweise auf Manipulationen geliefert und ein striktes Festhalten an der bisherigen Judikatur sei daher reiner Formalismus, ab. Es sei im Verfahren nämlich gar nicht darum gegangen, Hinweise auf Unregelmäßigkeiten zu finden – sondern nur darum, ob Wahlvorschriften verletzt wurden. Zwar hätten auch die Protokolle der Bezirkswahlbehörden bestätigt, dass alles rechtens abgelaufen sei – doch Zeugenaussagen hätten bestätigt, dass diese Niederschriften wohl selbst nicht ganz korrekt zustande gekommen seien.
Auch der Einwand vieler Kritiker, dass selbst im Fall von Manipulationen ein Verfälschen des Wahlergebnisses im großen Stil statistisch völlig unwahrscheinlich sei, prallt am Festhalten des Gerichtshofs an der eigenen jahrzehntelangen Judikatur ab: Demnach dürfen die Richter gar nicht darüber nachdenken, wie wahrscheinlich eine bestimmte Art von Manipulation sei. Sie seien vielmehr verpflichtet, „alle theoretisch möglichen Fälle von Manipulationen und Missbräuchen in Betracht zu ziehen“– und zwar auch von Manipulationen „durch den die Wahl organisierenden Staat selbst“.
Ganz irrelevant ist die Wahrscheinlichkeit einer Verfälschung dann aber doch nicht, wie die Zahlenspiele der Verfassungsrichter zeigen: Schon bei der mündlichen Verkündung gab Präsident Gerhart Holzinger an, es seien „77.926 Briefwahlstimmen“von Rechtswidrigkeiten in insgesamt 14 Bezirken betroffen. Nun heißt es schriftlich, es gehe schon in elf von 14 schlampigen Bezirken um 77.796 betroffene Stimmen – und das übersteige die Stimmendifferenz zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer schon in einem so großen Ausmaß, dass man die übrigen drei Bezirke erst gar nicht auszurechnen brauche. Der VfGH bleibt auch schriftlich bei der vielkritisierten Annahme, dass theoretisch ein Ergebnis „100 Prozent für Norbert Hofer“denkbar sei.
Zur Frage der nunmehr rechtswidrigen Weitergabe von Sprengelergebnissen vor Wahlschluss an Medien und Forschungsinstitute heißt es, diese widerspreche dem Grundsatz der freien Wahl.
Bewegung gibt es in puncto Wahlrecht: Am Mittwoch haben die Verfassungssprecher von SPÖ und ÖVP ihren Antrag für eine Wahlrechtsreform dem Verfassungsausschuss zugewiesen.