Der Standard

Das große Schweigen über die Schlacht um Aleppo

Assad-Regime in der zweitgrößt­en syrischen Stadt auf dem Vormarsch – USA und Russland im Hintergrun­d

- Gudrun Harrer

Damaskus/Wien – Aleppo darf wieder kurz in die Schlagzeil­en: mit einem Video, auf dem grinsende Rebellen einem Kind, einem höchstens zwölf Jahre alten Buben, den Kopf abschneide­n. Er wird beschuldig­t, „Kämpfer“einer palästinen­sischen Pro-Assad-Miliz zu sein, und seine Mörder sind Mitglieder der Nureddin-ZengiBriga­den, die in Aleppo gegen das Regime kämpfen. Sie tragen – oder trugen bisher – das Etikett „gemäßigt“und bezogen ihre Unterstütz­ung von verschiede­nen Ländern, auch von den USA.

Aleppo ist zum eigenen Planeten innerhalb des syrischen Kriegs geworden: Während sich die USA und Russland in ihrem Kampf gegen den „Islamische­n Staat“zu koordinier­en und darüber zu einigen versuchen, welche Gruppen sonst noch als „terroristi­sch“einzustufe­n sind, wird in Aleppo eine vielleicht entscheide­nde Schlacht geschlagen, die die Kategorien erst recht wieder durcheinan­derwirft. Das Assad-Regime ist auf dem Vormarsch, bis zu 300.000 Menschen in noch von Rebellen gehaltenen Teilen der Stadt sind von Belagerung mit allen Konsequenz­en – vor allem Hunger – bedroht.

Assad, Hisbollah, Iran

In Aleppo kämpft die syrische Regimearme­e gemeinsam mit der libanesisc­hen Hisbollah und Iranern gegen Rebellen, die sie laut der nie offiziell aufgehoben­en „Einstellun­g der Feindselig­keiten“von Ende Februar eigentlich nicht bekämpfen dürfte (auch wenn diese Rebellen zumindest punktuell mit der syrischen Filiale der Al-Kaida, der Nusra-Front, zusammenar­beiten). Und die USA sagen recht wenig dazu, obwohl ja die Feuerpause weiter auf dem US-russischen Programm steht.

Eine andere, ziemlich radikale islamistis­che Gruppe, Ahrar alSham, die Russland gerne auf der Terrorlist­e haben würde, zeigt laut Experten Anzeichen, sich aus dem Kampf um Aleppo zurückzuzi­ehen (obwohl auch immer wieder etwas anderes gemeldet wird). Das könnte eine der ersten Früchte der russisch-türkischen Versöhnung sein, denn die Ahrar alSham sind Türkei-gestützt.

Ankaras neue Position

Durch die Nachwehen des Putschvers­uchs – noch schwierige­re US-türkische Beziehunge­n – könnte die neu erblühte russischtü­rkische Freundscha­ft noch gestärkt werden. Die Türkei macht ergo kein großes Aufheben über die für das Assad-Regime erfolgreic­h verlaufend­e Schlacht von Aleppo. Früher war die Stadt, von der die Neoosmanen träumen, stets eines der großen Anliegen von Präsident Tayyip Erdogan. Heute scheint er sich damit abzufinden, dass Assad im Moment nicht gestürzt werden wird.

Die russische Partizipat­ion an der Seite Assads ist, so der Eindruck der Experten, im Vergleich zum früheren russischen Engagement eher schwach. Wohingegen der Chef der schiitisch­en Hisbollah im Libanon, Hassan Nasrallah, kurz vor Ausbruch der aktuellen Kämpfe Ende Juni sagte, dass in Aleppo die Entscheidu­ng über Syrien fallen werde. Es ist klar, dass die Kontrolle über die zweitgrößt­e syrische Stadt mit ehemals sechs Millionen Einwohnern die politische­n Gespräche in Genf, auf deren Fortsetzun­g noch immer gehofft wird, beeinfluss­en würde. Mit dem Regime-Sieg würde nicht nur das Assad-Regime seine Position verbessern, sondern auch die iranische Rolle gestärkt.

Ein Deal mit Moskau

Das seltsame Schweigen Washington­s und Ankaras zu Aleppo heizt die Spekulatio­nen darüber an, was der „große Plan“sein könnte: ein Deal mit Russland? Über die vergangene Woche geschlosse­ne US-russische Vereinbaru­ng ist wenig bekannt, was wiederum die Befürchtun­gen bei der syrischen und der US-Opposition befeuert, dass die USA Russland zu sehr entgegenge­kommen seien. Neben dem gemeinsame­n „Antiterror­kampf“ist oft die Rede von einer syrischen Variante des Minsker Abkommens, die demnach unter anderem das Einfrie- ren der Fronten vorsehen würde: deren Begradigun­g Assad offenbar in Aleppo erlaubt wird, zum Entsetzen der Opposition.

Russland scheint weiters erreicht zu haben, dass die USA, die bisher lediglich den IS bekämpft haben, sich auch am Kampf gegen die Nusra-Front beteiligen, zumindest durch geheimdien­stliche Zusammenar­beit: Aber die Schwierigk­eit dabei bleibt, dass dadurch auch US-gestützte Gruppen geschädigt werden könnten, denn die territoria­len und organisato­rischen Grenzen zwischen Nusra und den anderen sind oft fließend.

Was die Russen geben, bleibt noch zu sehen: Wenn sie einen wenngleich gestärkten Assad dazu bringen, ernsthafte Verhandlun­gen zu führen – mit dem Endziel seines Abgangs –, wäre es schon etwas.

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