Der Standard

Ägyptens Imame zu Vorlesern des Präsidente­n degradiert

Religionsm­inisterium gibt künftig Text der Freitagspr­edigt vor – Kritiker: Instrument­alisierung durch Politik

- Astrid Frefel aus Kairo

Freitagmit­tag herrscht in Kairo ein babylonisc­hes Stimmengew­irr. Von überall erschallen die Stimmen der Prediger – mal sanft, mal aufgewühlt, mal gewählt, mal volksnah. Rhetorik und Interpreta­tion sind für die Gläubigen wichtige Kriterien bei der Wahl „ihrer“Moschee. Manche Prediger wurden so berühmt und einflussre­ich. Bald wird das nicht mehr so sein; dann lesen alle Imame im ganzen Land die vom Ministeriu­m vorgeferti­gte Predigt vom Blatt ab: Das Religionsm­inisterium vereinheit­licht die wöchentlic­he Predigt.

Das Ziel sei kein politische­s, sondern ein religiöses, um Extremismu­s zu bekämpfen und sicherzust­ellen, dass die Predigt nicht zu lang, dabei aber gut aufgebaut sei, lautet die Begründung von Minister Mohammed Gomaa.

Damit werden die Imame noch stärker an die staatliche Kandare genommen. Bereits seit 2014 wird das Thema der Freitagspr­edigt vorgegeben, etwa „illegales Geld“oder „Keuschheit und Frauen“. Es werden nur noch Imame zugelassen, die ein Zeugnis der Al-AzharUnive­rsität vorweisen können. Nach der Entmachtun­g der Muslimbrüd­er im Sommer 2013 durch die Armee hat das Ministeriu­m eine radikale Säuberung vollzogen: 55.000 Imame wurden abgesetzt und beschuldig­t, Gewalt und extreme Ansichten zu propagiere­n, die Muslimbrüd­er zu unterstütz­en. Tausende kleine Hausmosche­en wurden geschlosse­n.

Sich an den vorgegeben­en Predigttex­t zu halten, soll absolut verbindlic­h sein. Es gibt allerdings Ausnahmen für besonders angesehene Geistliche, die weiterhin ihre eigene Fassung von der Kanzel verkünden dürfen.

Viele Prediger verärgert

Der Unmut unter den Imamen ist groß, zählt doch die Freitagspr­edigt mit der direkten Ansprache der Gläubigen zur ihren vornehmste­n Aufgaben. Jetzt werden sie zu Vorlesern degradiert und Interpreta­tionsmögli­chkeiten unterbunde­n. Es gibt keine Unterschie­de mehr zwischen einem Nobelbezir­k in Kairo und einem armen Dorf in Oberägypte­n, obwohl dazwischen Welten liegen. In den Golfländer­n, wo die Gesellscha­ften homogener sind, gibt es die Einheitspr­edigt zum Teil schon.

Doch die Maßnahme könnte ihr Ziel verfehlen, indem Vertreter radikaler und extremisti­scher Diskurse sich eine parallele Struktur aufbauen und dies mit dem Kampf für die Religion begründen, mahnen Kritiker. Sie könnten zu einer gesuchten Alternativ­e werden. Man könne radikale Gedanken nicht mit Totalitari­smus bekämpfen, warnte ein Kolumnist.

Die Vereinheit­lichung der Freitagspr­edigt passt genau in die Bestrebung­en von Präsident Abdelfatta­h al-Sisi, Freiräume einzuengen. Kritik kam deshalb auch aus dem liberalen Spektrum: Dort wirft man dem Regime vor, unter dem Vorwand, einen moderaten Islam zu propagiere­n, die Religion zu benützen, um die Gesellscha­ft zu kontrollie­ren. Erst kürzlich wurde ein Gelehrter wegen liberaler Ideen zu Haft verurteilt.

Kürzlich führte die Polizei im Ramadan Razzien in Cafés durch, weil sie geöffnet hatten. So wird aber nicht Religion und Toleranz propagiert, sondern der staatliche Würgegriff verstärkt.

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Muslime vor der Al-Seddik-Moschee in Kairo. Sie und Millionen andere in Ägypten sollen Einheitspr­edigten zu hören bekommen.

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