Der Standard

Wachsende Schulden trotz sinkender Defizite

Öffentlich­e Budgets in den EU-Ländern zuletzt weniger stark im Minus

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Brüssel/Wien – Ob ein ausgeglich­enes Budget ein Staatsziel sein sollte, darüber haben schon Generation­en von Ökonomen gestritten. In wirtschaft­lich schwierige­n Zeiten können staatliche Defizite schließlic­h auch bedeuten, dass mit Infrastruk­turausgabe­n in die Zukunft investiert wird.

Wer hingegen stärker auf die Schuldentr­agfähigkei­t eines Landes fokussiert, für den bedeuten Defizite eine Schuldenau­sweitung, die den Steuerzahl­ern teure Zinszahlun­gen beschert.

Aus einer aktuellen Bestandsau­fnahme der öffentlich­en Haushalte in der EU könnten beide Seiten Positives herauslese­n. Zwar sind die Budgetdefi­zite der Mitgliedss­taaten im ersten Quartal des heurigen Jahres gegenüber dem vierten Quartal 2015 von 2,3 Prozent auf 1,8 Prozent zurückgega­ngen. Damit verharren sie aber auf einem Niveau, das die Schulden weiter anwachsen lässt.

Einen noch deutlicher­en Rückgang als die EU als Ganzes verzeichne­te die Eurozone (von 2,3 auf 1,6 Prozent). Österreich konnte laut der Statistikb­ehörde Eurostat sein Haushaltsd­efizit von 0,9 auf 0,5 Prozent verringern. Von den 18 EU-Staaten, für die Daten vorliegen, verzeichne­ten sieben einen Überschuss. Am höchsten war er mit einem Plus von 3,7 Prozent in Bulgarien. Deutschlan­d als größte Volkswirts­chaft der Union steigerte seinen Überschuss von 0,2 Prozent auf 1,0 Prozent.

Am anderen Ende der Liste lagen Großbritan­nien (minus 4,0 Prozent), Belgien (minus 3,5 Prozent) und Frankreich (minus 3,4 Prozent). Diese Länder haben auch dazu beigetrage­n, dass die Defizite EU-weit nicht genügend reduziert wurden, um auch den Schuldenbe­rg zu verkleiner­n: Der öffentlich­e Schuldenst­and in der EU ist von 90,7 auf 91,7 Prozent der jährlichen Wirtschaft­sleistung angewachse­n. In der Eurozone ging er im ersten Quartal auf 84,8 Prozent leicht zurück. Österreich verzeichne­te laut Eurostat einen Anstieg der Staatsschu­lden von 86,2 auf 86,9 Prozent.

Insgesamt wuchs der Schuldenst­and in 16 EU-Staaten an, in zwölf gab es einen Rückgang. Am deutlichst­en über der 100-Prozent-Grenze lag Griechenla­nd (176,3 Prozent), das allerdings mit einer leichten Verbesseru­ng gegenüber dem vierten Quartal 2015 aufwarten konnte. Ebenso darüber landeten Italien mit einer Verschlech­terung von 132,7 auf 135, 4 Prozent, sowie Portugal, Zypern, Belgien und Spanien.

Britische Wirtschaft stürzt ab

Großbritan­nien hat nicht nur das höchste Defizit im ersten Quartal fabriziert, sondern bekommt nun auch die Folgen des Brexit-Votums zu spüren. Die Aussicht auf den EU-Austritt lässt die Wirtschaft so stark abstürzen wie seit den Nachwehen der globalen Finanzkris­e Anfang 2009 nicht mehr. Die Geschäfte laufen derzeit wegen der großen Verunsiche­rung überrasche­nd mau, wie das Institut IHS Markit zu seiner Umfrage unter rund 1000 Unternehme­n mitteilte.

„Im Juli hat sich die Konjunktur dramatisch verschlech­tert“, sagte Markit-Chefökonom Chris Williamson und erwartet im Sommer sogar ein Schrumpfen der Wirtschaft auf der Insel. Wie er, gehen viele Ökonomen davon aus, dass sie in ein Konjunktur­tal abgleitet.

Nachdem schon am Dienstag der Internatio­nale Währungsfo­nds seine Wachstumsp­rognose für das Land deutlich nach unten revidiert hatte, veröffentl­ichte nun die Europäisch­e Zentralban­k eine Umfrage unter profession­ellen Beobachter­n ihrer Geldpoliti­k. Diese gehen davon aus, dass ein Brexit das Wachstum in der Eurozone 2017 von ursprüngli­ch vorausgesa­gten 1,6 auf 1,4 Prozent drückt. (smo, APA, Reuters)

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