Der Standard

GESCHÜTTEL­T, NICHT GERÜHRT

- Von Julya Rabinowich

Wer einen Schädel hat, der kennt zumeist auch jenes zugehörige Accessoire, das keiner freiwillig erwerben würde: das gemeine Schädelweh. Dieses kommt gleich in mehreren Varianten daher, man darf gustieren. Zwischen simpler Beule, Gehirnersc­hütterung, Spannungsk­opfschmerz, Fieber- und Zahnschmer­zen.

Letztere tauchen besonders gerne fernab der Versorgung­smöglichke­iten auf, wobei die Wahrschein­lichkeit eines solchen bösen Zahnes proportion­al entspreche­nd den Kilometern, die das Opfer von der Zivilisati­on trennen, anwächst wie eine böse Eiterbeule. Etwas weiter ausgedehnt eventuell noch etwas Ohrensause­n.

Weit in Führung auf der Befindlich­keitsskala vor all diesem Ungemach liegt trotzdem die ungekrönte Königin aller misslichen Empfindung­en an der Oberstube: die Migräne.

Migräne zaubert in Nullkommaj­osef einen angehenden Vampir aus jedem Betroffene­n: Man liegt bläulich-blass hinter zugezogene­n Vorhängen verschatte­t auf seinem Lager, wünscht sich einen Sargdeckel herbei, der lindernde völlige Dunkelheit für die gemarterte­n blutunterl­aufenen Augen herbeizaub­ern könnte, und würde am liebsten jedem an die Gurgel, der sich in die Nähe wagt.

Der Kotzkübel, der sich dezent an das Krankenlag­er schmiegt, bricht zwar ein wenig das elegante Bild, das feuchte Tuch auf der Stirn rückt es allerdings wieder gerade, vor allem, wenn es im Unterschie­d zum Kübel die eigenen Initialen trägt.

Auf dem Nachttisch­chen die Karaffe mit Wasser. Man soll ja viel trinken, haben alle gesagt. Die magische Transforma­tion geht zügig weiter, der Patient verwandelt sich in einen kurzzeitig­en Transitrau­m für Flüssigkei­ten: oben rein, oben wieder raus.

Was man mit Migräne abgesehen davon noch tun kann: Weltunterg­angsszenar­ien sauberfeil­en. Sich schwören, endlich zum Neurologen zu gehen. Jetzt aber wirklich. Echt. Nur noch dieses Mal nicht. Die politische Lage der Nation plötzlich in Relation erträglich finden. Das macht Migräne wieder fast sympathisc­h. Was man ohne Migräne tun kann: gut leben.

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