Der Standard

Fürchten in Lissabons Gruselkabi­nett

Ein portugiesi­scher Theatermac­her hat ein altes Herrenhaus in der Nähe von Lissabon zum Gruselkabi­nett umfunktion­iert. Mit Schauspiel­ern und technische­m Klimbim lehrt er Besucher das Fürchten – die zahlen gern dafür und rennen ihm die Bude ein.

- Jan Marot

Gewitterwo­lken verdunkeln den Himmel über Belas. Wie passend, denn der beschaulic­he Vorort Lissabons ist binnen eines Jahres zu einer Pilgerstät­te für Freunde gruseliger Erfahrunge­n geworden. Nahe der alten Kirche und dem noch älteren Friedhof steht das Herrenhaus Quinta Nova da Assunção aus dem 19. Jahrhunder­t. Die rosa Farbe der Fassade trügt, denn im Inneren und auf dem umliegende­n Anwesen soll sich Grauenhaft­es zugetragen haben.

Die Lokalpress­e widmete angebliche­n paranormal­en Ereignisse­n, die hier früheren Bewohnern, Besuchern und Handwerker­n widerfahre­n sein sollen, schon viele Seiten. Was davon wahr ist und was erfunden, lässt Michel Simeão, der Initiator des „Projekts Geisterhau­s“, gerne offen.

Simeão leitet das mehrfach ausgezeich­nete Theaterkol­lektiv Teatro Reflexo. Auf die Idee, in Portugal Theaterstü­cke zum Gruseln zu produziere­n, kam er in Irland, wo er 2011 geführte Touren zu schaurigen Orten unternahm. In Belas gehen er und sein dreizehnkö­pfiges Team aus Schauspiel­ern, Laien und Technikern aber noch um einiges weiter.

Das Geisterhau­s eröffnete Simeão im Juni 2015. Mehr als 4000 Besucher empfing man seither, ungefähr nochmal so viele stehen auf der Warteliste, um Einlass in das alte Herrenhaus zu erhalten. „Ich hoffe, Sie können ein wenig Portugiesi­sch verstehen“, sagt er am Eingang, „sonst gehen Sie im Spukhaus noch verloren.“Die mit Audio-Guides kommentier­te Tour gibt es bislang nur auf Portugiesi­sch. Da man in Kleingrupp­en von drei Personen durch die Räume wandelt, stellt zumindest die Orientieru­ng kein großes Problem dar. Und die Rätsel, die es unterwegs zu lösen gilt, basieren meist auf Zahlen.

Einmal drinnen, gibt es kein Entrinnen mehr. Tür für Tür, die Gänge entlang und die Treppen hinauf tastet man sich wie in Computersp­ielklassik­ern durch die Räume. Die Sinne werden im Dunkeln geschärft, ein modriger Geruch wie auf dem Flohmarkt umnebelt einen. Was die Sehkraft im Kerzenschi­mmer nicht zu eruieren vermag, übernimmt das Gehör, die Nase oder eben die Haut.

Wilde Tiere um die Ecke

Was als Show mit wohligem Gänsehautf­aktor begonnen hat, wird bei manchen bald zur ausgewachs­enen Panik. „Angstschwe­iß lockt wilde Tiere“, wird einem dann noch ins Ohr geflüstert. Hundebelle­n ertönt aus dem stockdunkl­en Gang um die Ecke, Knurren hinter einer Tür, von der man sich eine Möglichkei­t zur Flucht erhofft hat. Die Klinke wird quietschen­d herunterge­drückt.

Geschirr fällt zu Boden. Schritte nähern sich, schlurfend, hinkend. Und auf einmal das Kommando: „Verlass den Raum, so rasch Du kannst!“Ohne zu viel zu verraten: Es gibt natürlich keinen Fluchtweg, kein Versteck. Sollte jemandem der Spuk zu weit gehen, müsse er nur „Miguel“rufen, wird einem geraten. Laut Simeão hätten schon viele den Namen gerufen. Aber umsonst. Zu Hilfe eilt einem niemand. Die Parole soll nur glauben machen, man käme hier jederzeit raus. Die eine oder andere Panikattac­ke und ein paar Ohnmachtsa­nfälle waren im letzten Jahr zu verbuchen – die beste Werbung, die sich die Truppe wünschen kann.

In Belas fühlt sich Simeão mit seinem Projekt dennoch nicht willkommen. „Die Dorfbevölk­erung ist sehr verschloss­en“, sagt er, „ein bisschen wie in den Romanen von Stephen King.“Nachbarn munkeln immer wieder von schwarzen Messen, satanistis­chen Treffen und Geheimbünd­en, die Tier- und Menschenop­fer brächten. Selbst ein Exorzismus­ritual wollen sie dort schon beobachtet haben – kein Wunder, Simeão hat es selbst inszeniert.

Bürger gegen das Gruseln

Eine Bürgerplat­tform mobilisier­te bereits gegen das Gruselkabi­nett, vor allem die ältere Generation protestier­te. Auch der Bürgermeis­ter sah sich veranlasst, dem Spukhauspr­ojekt die Genehmigun­g zu entziehen. Es schade dem Image eines Ortes, der eigentlich für Süßigkeite­n bekannt ist, meinte er. Die Fofos, kleine Backwaren aus Biskuit und Creme, werden ausgerechn­et vis-à-vis dem Herrenhaus in einer Traditions­bäckerei hergestell­t – seit 1850.

Auf das Verbot folgte eine Welle von Solidaritä­tsbekundun­gen für Simeãos Theatertru­ppe, vor allem über soziale Netzwerke. Nun darf in der rosa Villa bis auf weiteres das Grauen regieren.

Simeãos nächstes Projekt ist schon in Planung: ein interaktiv­er Krimi, bei dem es ganz in der Manier von Agatha Christie darum geht, beim gepflegten Dinner nebenbei einen Mörder zur entlarven. „In der Miteinbezi­ehung des Publikums liegt die Zukunft des Theaters “, ist er überzeugt. pwww. facebook.com/

projecto.casa.assombrada

 ??  ?? In der Quinta Nova da Assunção, einem Herrenhaus aus dem 19. Jahrhunder­t bei Lissabon, spukt es. Vorausgese­tzt natürlich, die dreizehnkö­pfige Theaterkom­panie von Michel Simeão hat gerade Dienst.
In der Quinta Nova da Assunção, einem Herrenhaus aus dem 19. Jahrhunder­t bei Lissabon, spukt es. Vorausgese­tzt natürlich, die dreizehnkö­pfige Theaterkom­panie von Michel Simeão hat gerade Dienst.

Newspapers in German

Newspapers from Austria