Hoffnung in Radebeul
Die Senioren-WM demonstrierte Freude und Leistungsfähigkeit der Alten. Von ruf & ehn
Es gibt Ereignisse, lieber Leser, liebe Leserin, die uns Hoffnung machen: die erste Herztransplantation, ein Besuch des Dalai Lama, die Senioren-Schachweltmeisterschaft in Radebeul. Die Alten und Hochbetagten sind die am schnellsten wachsende Gruppe in den Schachverbänden Europas. Das Anwachsen spiegelt die demografischen Veränderungen in der Altersstruktur unserer Gesellschaft, Turniere für Senioren zeigen die Bedürfnisse der älteren Spieler nach Begegnung und Geselligkeit, aber auch nach Leistung und individuellem Erfolg. Wie im Sport steigt die Stärke der Amateure jenseits der 70 rasant, an der Spitze stehen heute Alte, mit denen nicht zu spaßen ist.
Im sächsischen Radebeul nahe Dresden fand nun die Seniorenweltmeisterschaft der Schachteams statt. Es traten 107 Teams aus 23 Nationen in den Altersklassen 50+ und 65+ an. Sympathischerweise nahm man es mit dem Begriff „Nationalteam“nicht so ernst, so kam es zu Wettkämpfen zwischen „Turku“und „Freibauer Niedersachsen“, „Youngish England“(mit dem exzentrischen Jon Speelman am Spitzenbrett) traf auf das witzige, aber chancenlose Team „Randbauern“aus Mitteldeutschland, mit von der Partie war auch eine mongolische Frauenriege.
In der Sektion 50+ gewann das Team Germany 1 mit den großartig aufspielenden Uwe Bönsch (Elo 2545) und Klaus Bischoff (2500) an den Spitzenbrettern, knapp vor Armenien (mit Eloriesen Rafael Waganjan) und England 1, angeführt vom 61jährigen, aber nach wie vor jugendlich wirkenden John Nunn, Großmeister, Mathematiker und Weltmeister im Lösen von Schachproblemen. In der Sektion 65+ blieb die russische Mannschaft konkurrenzlos, kein Wunder: Russlands Altenteam trat mit den Großmeistern Evgeni Sweschnikow, Juri Balaschow, Evgeni Wasjukow und Wladimir Zhelnin an, eine Formation, die locker auch um die österreichische Meisterschaft mitspielen könnte. Auch bei den Frauen lag am Ende Russland vorne.
Altersmediziner haben gezeigt, wie man die Leistungsfähigkeit im Alter zumindest teilweise erhalten kann. Man selektiert Eröffnungsvarianten, optimiert das Repertoire und versucht Stellungen herbeizuführen, in denen die schwächer werdende Gedächtnisleistung durch strategische Erfahrung kompensiert werden kann. Grundlage von allem, darin stimmen alle Mediziner und Psychologen überein, ist die Freude am Spiel. Waganjan und Bönsch haben sie:
Waganjan – Bönsch Radebeul 2016
Die Abtauschvariante verschärft hier das Spiel.
Um das befreiende Lf5 zu verhindern.
Anstelle des üblicheren 8... 0–0.
Entschärft die Diagonale b1-h7 und bietet dem Springer das Rückzugsfeld g7. Weiß kann natürlich auch lang rochieren, z. B. 11.0–0–0 Sb6 12.Kb1 Sg7 13.Sf4 Lf5 mit komplexem Spiel.
Weiß bereitet den typischen Minoritätsangriff am Damenflügel vor.
Ein geschickter Konter.
Oder 15.b5 axb5 16.axb5 c5!
Am Scheideweg. Uwe Bönsch entscheidet sich für den direkten Königsangriff. Nach 16... Sf6 könnte Weiß das befreiende 17… Lf5 mit 17.Dc5 Te8 18.Dxe7 Txe7 19.Sg3 h5 20.h4 unterbinden. Nach 18.Sf4 befürchtete Weiß zu Unrecht 18... g5 19.Sh3 Se4 20.f3 mit besse- rem weißen Spiel.
Geschickt wehrt Schwarz alle Versuche von Weiß ab, e3-e4 durchzusetzen.
Weiß steht besser, verliert aber zusehends den roten Faden. Stellungsgerechter war 23.Sc3 nebst Sa4-b6.
Mit diesem aggressiven Vorstoß hat Schwarz zumindest gleiches Spiel.
Eine gute strategische Idee, die jedoch an der Taktik scheitert. Nach dem aktiven 27.Se5 g4 28.fxg4 fxg4 29.g3 wäre Weiß immer noch gut gestanden.
Notwendig, denn 28.Sxf4 Sxf4 29.exf4 Txe1 30.Txe1 Dxd4+ kostet einen wichtigen Bauern.
Schlimmer wäre 29.Txe3 f4 30.Tee1 f3.
Die schwarzen Figuren konzentrieren sich gefährlich am Königsflügel. Billig wäre 34.Lxh5? Sh3+ 35.Kh1 Dxg2 matt, aber 34.Tde1 Sh3+ 35.Kh1 Sg3+! 36.hxg3 fxg3 37.De3 war viel zäher.
Der zweitbeste Zug. Nur noch 35.Te1 hielt die Stellung zusammen.
Hat das hübsche Ende schon vor Augen. Prosaischer war 36… Sxf3+ 37.Dxf3 Sg5 38.Dc3/d3 Lh3! nebst f3. Erst hier greift Rafael Waganjan wirklich fehl und erkennt nicht die schwarze Drohung. Nach 37.Te1 Sxf3+ 38.Dxf3 Sg5 39.Dd1 f3 40.Kh1 muss Schwarz technisch noch einiges zeigen. Und 0-1. Der schöne Schluss bleibt hinter dem Vorhang: 38.Kh1 Sg3+! 39.hxg3 Sf2+ 40.Kg1 Sxd1 mit Damengewinn.