Der Standard

Hilfen für die Türkei aussetzen

Wer Grund- und Bürgerrech­te nicht achtet, hat kein Anrecht auf Unterstütz­ung

- Alexandra Föderl-Schmid

Eigentlich müsste es in Österreich eine Demonstrat­ion nach der anderen geben: Wenn es all jenen, die nach dem Putschvers­uch in der Türkei auf die Straße gegangen sind, tatsächlic­h, wie behauptet, um den Fortbestan­d der Demokratie gegangen wäre, hätten sie nach den Ereignisse­n der vergangene­n Tage allen Grund zu demonstrie­ren: In der Türkei werden Grund- und Menschenre­chte außer Kraft und Journalist­en unter Druck gesetzt, die Gewaltente­ilung wird aufgehoben, und offensicht­lich Unliebsame werden vom Dienst suspendier­t oder gar verhaftet.

Dass 21.000 Lehrerinne­n und Lehrer, 15.200 Mitarbeite­r im Bildungsmi­nisterium sowie 2700 Staatsanwä­lte und Richter in den Putschvers­uch involviert gewesen sind, vermag niemand zu glauben. Insgesamt wurden mehr als 10.000 Menschen verhaftet und mehr als 65.000 aus ihren Positionen entfernt. Sie alle haben ein Recht auf ein faires Ermittlung­s- und Gerichtsve­rfahren. Aber angesichts der jüngsten Regierungs­entscheidu­ngen bestehen erhebliche Zweifel, ob ein Mindestmaß an Rechtsstaa­tlichkeit in diesem Land noch gewährleis­tet ist.

Präsident Recep Tayyip Erdogan hat offensicht­lich die Gelegenhei­t zu Säuberunge­n in seinem Sinne genutzt. Historisch­e Vergleiche drängen sich auf. Ob der Putsch vorschnell gestartet oder gar von Erdogan inszeniert wurde, wird sich vielleicht nie ganz aufklären lassen. Aber es kommt Erdogan entgegen, dass er nun unter Verweis auf den Putschvers­uch den Umbau des Staates nach seinen schon länger verfolgten Vorstellun­gen rasch vornehmen kann. Dass Akademiker­n die Ausreise verweigert wird, ist ein Verhalten, das aus Diktaturen bekannt ist. Ob sich die Türkei zu einer Präsidiald­iktatur oder einem autoritär regierten Staat entwickelt, wird sich in den D nächsten Wochen zeigen. ass österreich­ische Politiker – allen voran Bundeskanz­ler Christian Kern und Außenminis­ter Sebastian Kurz – im Vergleich zu Repräsenta­nten aus anderen EULändern verhältnis­mäßig scharf reagiert haben, war auffällig. Die Zitierung des türkischen Botschafte­rs ins Außenminis­terium entspricht üblichen Gepflogenh­eiten und war ein richtiges Signal, ebenso das Gespräch mit islamische­n Vertretern im Kanzleramt.

Das Demonstrat­ionsrecht in Österreich gilt für alle. In einem Rechtsstaa­t sind jedoch Regeln einzuhalte­n: etwa, dass eine Veranstalt­ung angemeldet und genehmigt sein muss. Da das nicht der Fall war, sind Anzeigen gegen Veranstalt­er logische Konsequenz­en – auch die Demolierun­g eines kurdischen Lokals muss geahndet werden. Im Lichte der jüngsten Ereignisse sollte auch die Förderung AKP-naher Organisati­onen oder Veranstalt­ungen mit Mitteln aus Steuergeld­ern hinterfrag­t und überprüft werden. Wer universal geltende Rechte infrage stellt, hat kein Anrecht auf staatliche Unterstütz­ung.

Das sollte auch auf EU-Ebene gelten: Die Türkei hat von der EU die während Beitrittsv­erhandlung­en übliche sogenannte Heranführu­ngshilfe erhalten. Zwischen 2007 und 2013 waren dies 4,8 Milliarden Euro. Diese Unterstütz­ung sollte ausgesetzt werden, bis klar ist, für welchen Weg sich Erdogan entscheide­t.

Die EU hat ein Eigeninter­esse an einer stabilen Türkei, darf aber deshalb von eigenen Wertemaßst­äben nicht abrücken und wegen des Flüchtling­spakts erpressbar erscheinen. Sonst haben nicht nur Erdogan-Anhänger ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem.

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