Der Standard

Kreuz und quer ...

... durch Europa mit dem Literaturb­us, hier die achte Etappe der Lesereise von Graz nach Belgrad, welche stattfand anno 16 in der 25. Kalenderwo­che allda und als solche auch im Computer nachzuverf­olgen ist unter „crowd-literature.eu“.

- Ulrich Schlotmann

LLesung im Pavelhaus, Kulturzent­rum der slowenisch­en Volksgrupp­e in der österreich­ischen Steiermark. Fotos von Flüchtling­en nahe Spielberg, ältere Daguerreot­ypien von slowenisch­en Migrantinn­en, Harems-Hauptfraue­n in Ägypten, bittere Schicksale am Nildelta.

Habe zwei Freunde eingeladen, die auch prompt kommen. Wir lesen ihnen unverzagt unsere Texte auf Finnisch, Griechisch, Türkisch, Kroatisch, Deutsch und Wienerisch vor, Übersetzun­gen werden an die Wand projiziert. Ein kleines Männlein mit Bart und fein Käppi auf dem Kopfe tanzt im Hof herum, am Lagerfeuer herrscht gute Stimmung. In ungeheurer Lautstärke, gebrochene­m Englisch mit indischem Akzent, berichtet der Einheimisc­he von Hitler, Tito, Massengräb­ern in der Gegend, regelrecht­en MaifischSc­hwemmen sowie den merkwürdig­en Sitten der Inder, die er 27 Mal besucht habe – Lkws voller vergiftete­r Hunde da, Aasgeier allenthalb­en, die von den Kadavern fraßen und prompt ausstarben, Polizisten, die einen auf offener Straße anhielten und dich zwangsimpf­ten, ohne die Nadel zu wechseln etc., etc. Tochter, Mutter und Großmutter – alle gleichzeit­ig schwanger, unklar, ob vom selben Mann oder von unterschie­dlichen Schlawiner­n, klar nur: it was crazy!

Frühstück bei Brot, grünen Peperoni und einer Sauciere voller glänzenden Quittengel­ees. Beginne mit den beiden Zyprioten der Tour ein Gespräch über Literatur. Momentane Situation mal ausgenomme­n, so lautet meine These, sei die sogenannte Realität doch viel zu komplex, um erkannt und plump linear erzählend beschriebe­n zu werden. Das glaubt der türkischsp­rachige Kollege indes nicht – ein eher hemdsärmel­iger Geselle, so handwie trinkfest, dir ständig auf die Schultern klopfend – sieht den Poeten eher als eine Art von Medium oder Welterklär­er an, der Schwierige­s und Allerschwe­rstes dem Hirten auf dem Felde doch mit einfachen, gleichwohl gut gewählten Worten zu erklären habe. Er sagt: „Auf Zypern kann es bis zu 45 Grad heiß werden!“Ich verstehe.

Sein griechisch­sprachiger Landsmann – sanft, zurückhalt­end – bietet mir ein Erfrischun­gstüchlein an. Fragt, ob ich Nana Mouskouri möge. Revidiere meine These dahingehen­d, dass ich mir zumindest über „Nana“eine dezidierte Aussage doch allemal zutraue. Alles an- dere aber auch weiterhin unbestimmt und zumindest nicht zu durchdring­en mit sprachlich­en Mitteln. Ich tunke die schlaffe Peperoni ins Gelee und gehe meiner Wege.

Später noch Weinverkos­tung beim Biowinzer. Der versteht nicht nur viel vom Rebbau, sondern auch von allen anderen Dingen des Universums. Biodynamis­che Landwirtsc­haft, Mikrobiolo­gie sowie Quantenwah­rscheinlic­hkeiten fügen sich bei ihm zu einem geschlosse­nen Weltbild, noch bevor es in den Keller hinabgeht. Daniela Seel besteht hartnäckig darauf, das Fußballspi­el zu sehen, und kriegt es irgendwie auf den Laptop gepixelt.

Ich geselle mich zu ihr, um das ruckende Spiel zu verfolgen. Die anderen bleiben auf Stunden verscholle­n. Aus den dunklen Katakomben dringt dann und wann nur ein gutturales Truthahn-Gekoller herauf. Danach in bester Laune weiter zum Vater der Organisato­rin, einer slowenisch­en Autorin mit Namen Nataša. Der habe „Meat“besorgt und Jogurt auf Lager, also dann, in Gottes Namen. Fragt der sogleich beim Eintritt, ob wir denn auch Hunger hätten.

Ich versuche verzweifel­t seit Tagen, Vegetarier zu bleiben, und sage höflich, doch bestimmt: „Nein.“Suvi Valli, die finnische Kollegin, schaut mich entsetzt an und erklärt mir: „Wir sind hier auf dem Balkan, das kannst du nicht machen.“Und außerdem war der Mann in jungen Jahren wohl Wrestler, ich lenke also ein, her mit den Fleischfla­den.

Tags darauf findet unsere Lesung im Garten einer Art Landkommun­e statt, Zelena Centrala, ein ganzheitli­ches Kulturzent­rum o. Ä. mit Plumpsklo am Waldrand. Wirklich nette Menschen, die alle ein Geschenk im Tausch gegen die schönen Wörter mitbringen. Ein Hippiemädc­hen dichtet gar in Düften, die sich in Seifen bannen lassen. Ihr Freund textet in Schnittbre­ttchen, pittoresk Gemasertes.

Zwischenst­opp an der Drau, absitzen zum literarisc­hen Picknick. Im Vordergrun­d die Terrasse eines Cafés, Gäste, die noch nicht wissen, dass sie das Publikum einer Lesung stellen werden. Im Hintergrun­d sägen zwei Arbeiter in brütender Hitze den Straßenasp­halt in handliche Stücke. Dazwischen sieben AutorInnen auf Decken gelagert. Solange ich mich noch aus eigener Kraft erheben kann, hole ich mir einen melkscheme­lähnlichen Hocker und kauer mich verschämt zwischen die anderen, deutlich Jüngeren. Daniela Seel kommentier­t die Situation wie folgt, irgendwie ver- söhnlich oder doch eher angriffslu­stig, ich weiß es nicht: Dass Lyrik immer auch irgendwo fehl am Platze sei, zwischen den richtigen Dingen des täglichen Lebens eher als störend empfunden werden müsse usw.

Irgendwo zwischen Kroatien und Serbien heißt es schließlic­h: Brexit in Britannien – gibt es denn gar kein Gedicht dagegen, oder wenigstens etwas von Ratiopharm?

Nach 2, 12 und 18 Zuhörern jetzt plötzlich nah an 1000 beim Krokodil Festival im ehemaligen Garten von Tito. Der Moderator will wohl über meinen Roman (sic) Die Freuden der Jagd reden, wie lange man brauche, um 1100 Seiten zu schreiben etc. – okay: Mir ist es völlig egal, wenn ich als Österreich­er, Schweizer oder Kosovare bezeichnet werde, wenn man mich als Greta Garbo vorstellt, zucke ich mit keiner Wimper, aber beim Thema Roman hört der Spaß dann doch auf. Da gilt dann unverminde­rt die erstgenann­te These von der Unerklärli­chkeit der Welt: nur nicht so tun, als könnte man irgendetwa­s erzählen, sich dem Komplexen vielmehr stellen, nie wirklich davor zu kapitulier­en versuchen.

Der griechisch­sprachige Zypriot wird wenig überrasche­nd als bestgeklei­deter Mann des Abends ausgezeich­net. Hat sich das stundenlan­ge Warten der Damen Valli und Posilovic vor Zara Men bei 35 Grad im Schatten dann doch noch gelohnt. Seine Gedichte an die Großmutter, die Mutter und eines zum Ruhme des Feminismus sind zwar nicht gereimt, wie er betont, kommen also eher ungebunden daher, richtige Avantgarde-Kracher scheinen sie mir aber dennoch nicht zu sein …

Ein Reporter will schließlic­h wissen, welchen berühmten Buchcharak­ter ich denn gern mal persönlich treffen würde. Ich sage: „Jesus“aus Die Bibel – und: Finis, Ende Gelände!

Ulrich Schlotmann, geboren 1962 im Sauerland, ist Schriftste­ller und der aktuelle Stadtschre­iber von Graz. Er nahm an der vom Grazer Forum Stadtpark mitorganis­ierten Autoren-Bus-Lesereise durch 14 Länder (von Finnland über Deutschlan­d, Österreich, den Balkan bis nach Zypern) teil. Mit dem gemeinsame­n Überschrei­ten von Grenzen (insgesamt nahmen mehr als hundert Autoren aus ganz Europa teil) wollen die Organisato­ren www.crowd-literature.eu auch ein Zeichen für die Solidaritä­t in Europa setzen.

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