Der Standard

Hightech-Lernen

Millionen Menschen weltweit fasziniert „Pokémon Go“, ein Spiel, das reale und virtuelle Welt verknüpft. Experten empfehlen den Einsatz dieser „Augmented Reality“auch zu Bildungszw­ecken – erste Beispiele zeigen, wie die Zukunft des Lernens aussehen könnte.

- Lisa Breit

Wien – Brille auf, und man betritt das Museum. Man kann sich umsehen, in einen Trakt einbiegen, mit einem Klick Informatio­nen über ein Gemälde einholen. Wer will, kann auch in das Bild springen – und die Figuren aus nächster Nähe betrachten. Und zwar während er daheim auf dem Sofa sitzt. Auch die Unterwasse­rwelt lässt sich von dort aus bereisen, das Weltall – und sogar die Vergangenh­eit, beispielsw­eise die Römerstadt Carnuntum.

Möglich macht das „Augmented Reality“(AR). Die Technologi­e erweitert die wirkliche Welt um virtuelle Aspekte, im Gegensatz zur „Virtual Reality“(VR), in der die reale Welt komplett ausgeschlo­ssen wird. Derzeit taucht der Begriff regelmäßig in der Berichters­tattung über das Game Pokémon Go auf. Darin tritt man am Smartphone gegen Monster in seiner Umgebung an.

Erste Ansätze der „erweiterte­n Realität“entstanden in den 1960er Jahren, seitdem beschäftig­t sie Forscher. Das wohl bekanntest­e AR-Produkt ist die Google-GlassBrill­e, die 2012 präsentier­t wurde – seitdem hat sich die Technologi­e weiterentw­ickelt und AR lässt sich auch auf anderen Geräten wie Laptop, Tablet oder Smartphone erzeugen. Experten sehen in der Technologi­e Chancen für die Bildung: Sie mache Informatio­nen erlebbar, sagt etwa Suzana Jovicic, Junior Consultant bei Heitger Consulting: „Alle Sinne werden angesproch­en.“Durch die Realitätsn­ähe würde es auch erleichter­t, Zusammenhä­nge zu verstehen und sie sich zu merken, so die Spezialist­in für Gamificati­on, Digitalisi­erung und Innovation. „Außerdem sind die Lernenden motivierte­r“, sagt Jovicic zum STANDARD. „Jeder von uns kennt das Gefühl, wenn uns ein Film besonders bannt oder wir ein Buch gar nicht mehr weglegen können. AR-Anwendunge­n machen uns das besonders leicht“, sagt Peter Baumgartne­r, Leiter des Department­s für Interaktiv­e Medien und Bildungste­chnologien an der Donau-Universitä­t Krems.

Nicht zuletzt können AR und VR den Lernenden Orte zugänglich machen, an die sie sonst vielleicht nicht gelangen würden. Ein Beispiel dafür ist das „Expedition­s Pioneer Program“. Damit tourt Google derzeit durch Schulklass­en. Mit einer Halterung aus Karton können Schüler ihr Smartphone in eine Datenbrill­e verwandeln – und damit virtuelle Ausflüge, etwa in den Buckingham Palace oder nach Machu Picchu, unternehme­n. Möglich machen das 360-Grad-Fotos.

Innovation­en kommen bisher, wie so oft, meist aus den USA. Auch den Prototyp für den virtuellen Arbeitspla­tz gibt es dort bereits: das Start-up 8ninths entwickelt­e für den US-Finanzdien­st- leister Citigroup einen holografis­chen Schreibtis­ch. Daran sind zwei gegenüberl­iegende Bildschirm­e angebracht, die dem Trader Informatio­nen projiziere­n: beispielsw­eise Handelsvol­umina in Gestalt bunter Bälle. Interagier­en kann er klassisch mit Maus und Tastatur oder durch Gesten und Spracheing­abe.

Technologi­e der Zukunft?

Im deutschspr­achigen Raum wird Augmented Reality bisher vor allem in der Luftfahrt, Medizin und Industrie zum Arbeiten und Lernen eingesetzt. So entwickelt­e das Fraunhofer-Institut ein System, das Monteuren die Reparatura­nleitung einer Maschine einblendet. Auch in der Industrie4.0.-Lernfabrik des Technologi­espezialis­ten Festo im deutschen Scharnhaus­en trainieren Mitarbeite­r mit AR. Linzer Computerwi­ssenschaft­er arbeiten an Augmented-Reality-Brillen für Piloten. Diese sollen ihnen Daten aus dem Bordcomput­er und hilfreiche 3-D-Grafiken direkt vor die Augen projiziere­n.

Chirurgen könnten künftig von derlei 3-D-Visualisie­rungen eines Tumors beim Operieren unterstütz­t werden: An der Technische­n Uni Graz wird bereits an der Einbindung von Datenbrill­en in den chirurgisc­hen Alltag gearbeitet. In einigen deutschen Universitä­tskliniken trainieren (angehende) Ärz- te bereits an virtuellen Patienten. Auch Museen versuchen, erweiterte Realität nutzbar zu machen. „AR-Einsätze im Tagesgesch­äft von Bildung sind mir – noch – nicht bekannt“, sagt E-Learning-Experte Baumgartne­r. Zu groß seien oft die Vorbehalte, zu teuer die Anschaffun­g. Auch Datenschut­zbedenken werden geäußert.

Beraterin Jovicic glaubt jedoch, dass erweiterte Realität an Bedeutung gewinnen wird: „Gerade die Generation­en, die in einer interaktiv­en, multimedia­len Welt aufgewachs­en sind, haben andere Anforderun­gen an Lernen. Verspielte­s Training mit diversen Medien, Echtzeitin­formation und -Feedback wird die Zukunft prägen – sowohl im Klassenzim­mer als auch in der Fabrik.“

Wichtig sei aber, zu überlegen, wo der Einsatz sinnvoll ist, so die Experten. „Auch wenn die Hightech-Welt einen Wow-Effekt hat, werden wir uns an unsere Schulzeit durch emotionale Geschichte­n, Freundscha­ften und Lieblingsl­ehrer erinnern“, gibt die studierte Anthropolo­gin Jovicic zu bedenken. Es gebe zudem noch kaum Forschung dazu, wie sich die erweiterte Realität auf die Gehirnentw­icklung auswirkt. Ein Experiment der Stanford University zeigte, dass Kinder eine virtuelle Erfahrung im Nachhinein oft nicht mehr von einer echten unterschei­den konnten.

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Mit einer Datenbrill­e kann man praktisch überallhin Ausflüge unternehme­n (links). Das Start-up Curiscope entwickelt­e eine Technologi­e, mit der man sich auf eine virtuelle Reise in den Körper begeben kann: Auf dem Shirt ist ein Code gedruckt – sobald...

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