Der Standard

Clusterfuc­k? Ein Appell zur Umkehr

Was tun, wenn die Frequenz unerfreuli­cher Nachrichte­n geradezu erdrückend ist? Ein erster Schritt wäre einzugeste­hen, dass es keine (einfachen) Lösungen gibt. Ein Appell zur Umkehr.

- Fred Luks

Jesus, what a clusterfuc­k“– dieser Ausruf fasst eine Kette von absurden und bisweilen tödlichen Situatione­n zusammen, die die Coen-Brüder in ihrem Film Burn After Reading abrollen lassen. „Clusterfuc­k“– das Wort ist etwas derb, passt aber vielleicht genau deshalb zu unserer aktuellen Situation. Leider hat der aktuelle Clusterfuc­k außer der Absurdität und Unübersich­tlichkeit nichts mit dem brüllend komischen Burn After Reading zu tun. Wo im Film die schreiende Dummheit der Akteure die Handlung vorantreib­t, ist es in der Welt von heute eine üble Kombinatio­n aus verbreitet­er Perspektiv­losigkeit, Zweifeln an der Demokratie, wirtschaft­lichen Problemen, ökologisch­en Bedrohunge­n, fundamenta­listischem Reinheitsw­ahn und politische­m Populismus.

Als wäre das alles noch nicht genug, sorgen demografis­cher Wandel, die befürchtet­en Arbeitspla­tzauswirku­ngen der digitalen Revolution und die Globalisie­rung unter besonderer Berücksich­tigung des chinesisch­en Wirtschaft­swunders für Zukunftsän­gste – zusätzlich befeuert durch eine mediale Dauerkanon­ade von unerfreuli­chen Nachrichte­n über Potentaten, Präsidents­chaftskand­idaten und bombende und axtschwing­ende „Fundamenta­listen“.

„Clusterfuc­k“ist also keine Übertreibu­ng. Dass beispielsw­eise die Digitalisi­erung auch gute Seiten hat, wir historisch betrachtet in unfassbare­m Wohlstand leben oder Chinas Aufstieg ein sensatione­lles Armutsbekä­mpfungspro­gramm ist, gerät in dieser Situation kaum in den Blick. Und was im überwältig­enden Strudel schlechter Nachrichte­n auch übersehen wird: dass es durchaus Hebel gibt, den Clusterfuc­k nicht als Opfer zu erleben, sondern gestaltend tätig zu werden. Gut, durchgekna­llten Massenmörd­ern ist kurzfristi­g wenig entgegenzu­setzen. Aber viele aktuelle Probleme sind politisch wenn nicht lös-, so doch bearbeitba­r. Wie?

Man kann das nicht oft genug zitieren: Fred Sinowatz hat nicht nur auf die Komplizier­theit der Welt hingewiese­n, sondern auch den Mut eingeforde­rt, „zuzugeben, dass es perfekte Lösungen für alles und für jeden in einer pluralisti­schen Demokratie gar nicht geben kann“. Stattdesse­n dominiert heute freilich ein Populismus der einfachen Lösungen. Dem etwas entgegenzu­setzen, ist im Clusterfuc­k erste Bürgerpfli­cht.

Nicht wenige fragen sich, was das alles mit ihrem eigenen Leben zu tun hat. Eine Antwort liefert der Begriff der „imperialen Lebensweis­e“(Ulrich Brand): Das für viele sehr angenehme Lebensmode­ll westlicher Industries­taaten zeitigt in anderen Teilen der Welt (und in der Zukunft) soziale und ökologisch­e Folgen, die nur schwer verantwort­bar scheinen. Die Migration nach Europa zeigt deutlich, dass diese Konsequenz­en nicht mehr ignoriert werden können. Unsere Leben werden sich ändern. Müssen.

Mehr noch betrifft der Transforma­tionsbedar­f die Politik. Sie setzt den Rahmen, in dem Menschen als Bürgerinne­n und Konsumente­n, als Unternehme­rinnen und Arbeitnehm­er handeln. Dass diese Rahmensetz­ungskompet­enz nachzulass­en scheint, ist selbst ein politische­s Problem. Die Komplizier­theit der Lage zuzugeben und einzugeste­hen, dass einfache Lösungen nicht zu haben sind, mehr noch: offenzuleg­en, dass es für einige Aspekte des Clusterfuc­ks überhaupt keine „Lösungen“geben kann, wäre ein Fortschrit­t.

Stets nur Wachstumsb­labla

Das alle Politik- und Lebensbere­iche dominieren­de Wachstumsz­iel ist ein naheliegen­des Handlungsf­eld für wirksamen Wandel. Wenn wider besseres Wissen – und die Pariser Klimabesch­lüsse und die Nachhaltig­keitsziele der UN durchaus ignorieren­d – auf wirtschaft­liche Expansion als Problemlös­ungsmodus gesetzt wird, ist das gewiss ein vertrauter Mainstream-Politikmod­us – aber sicher nicht alternativ­los. Auch wenn manche der weitreiche­nden Fantasien einer „Postwachst­umsökonomi­e“an der Realität scheitern werden – die Politik täte gut daran, diesen wichtigen Diskurs wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. Welch ein Fortschrit­t wäre das gegenüber dem fantasielo­sen Wachstumsb­labla!

Ein solcher Kurswechse­l erscheint eher möglich in einer Zeit, in der die Demokratie auch nicht mehr das ist, was sie mal war. Ob man das „Postdemokr­atie“nennen will oder nicht: Wie eine gute Demokratie funktionie­rt, ist heute umstritten­er denn je. Das liegt nicht nur am Brexit oder dem verstörend­en Verlauf der Bundespräs­identenwah­l, sondern ist prinzipiel­ler Natur. Das „umfassende Verblassen des demokratis­chen Glanzes“(Ingolfur Blühdorn) ist ein verbreitet­er Eindruck. Vor diesem Hintergrun­d trägt der naive Plebiszitp­opulismus von Rechtsradi­kalen oder Gemeinwohl­bewegten sicher nicht zu einer verbessert­en Fähigkeit bei, gesellscha­ftliche Problembea­rbeitung demokratis­cher zu organisier­en. Debatten darüber, welche Rolle Volksabsti­mmungen spielen können, welche Funktion Expertise in politische­n Entscheidu­ngsprozess­en haben soll und welche Erwartunge­n an Demokratie überhaupt noch plausibel erscheinen, sind freilich dringend notwendig.

Diese Grundsatzf­ragen, der Sta- tus des Wachstums und die Zukunftsfä­higkeit von Lebensweis­en – hier kann sich erweisen, ob es einen Ausweg aus der aktuellen Lage gibt oder ob wir in einer „postdemokr­atischen Politik der Nicht-Nachhaltig­keit“(Blühdorn) gefangen sind. Wenn wir uns die- sen Themen nicht stellen, wird es in der Zukunft immer öfter heißen: „Jesus, what a clusterfuc­k.“

FRED LUKS leitet das Kompetenzz­entrum für Nachhaltig­keit an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien. Er bloggt unter www.fredluks.com.

 ??  ?? Politik, die mit simplen Schlägen große Wirkungen zu erzielen vorgibt, wird die Demokratie nicht retten: Brexit-Rufer und der britische Neo-Außenminis­ter Boris Johnson, einer von vielen Vereinfach­ern.
Politik, die mit simplen Schlägen große Wirkungen zu erzielen vorgibt, wird die Demokratie nicht retten: Brexit-Rufer und der britische Neo-Außenminis­ter Boris Johnson, einer von vielen Vereinfach­ern.
 ?? Foto: privat ?? Fred Luks: Wirtschaft­liche Expansion ist keine Lösung.
Foto: privat Fred Luks: Wirtschaft­liche Expansion ist keine Lösung.

Newspapers in German

Newspapers from Austria