Clinton geht auf Nummer sicher
Bei den Demokraten hätte es aufregendere Kandidaten für den Posten des Vizepräsidenten gegeben. Hillary Clinton entschied sich für Tim Kaine, einen Praktiker mit langer Erfahrung im Politikbetrieb.
Ja, er sei ein Langweiler, hat Tim Kaine neulich über sich selbst gesagt. Wenn man ihn in diese Schublade stecken wolle, wolle er gar nicht widersprechen. Parteifreunde, die ihn genauer kennen, widersprechen da schon. Sobald sich Kaine eine Mundharmonika an die Lippen halte, werde es alles andere als langweilig, meint der Senatsveteran Mark Warner, Kaines politischer Mentor aus dem Bundesstaat Virginia.
Die offizielle Kür am heute, Montag, beginnenden Parteitag der Demokraten steht zwar noch aus, aber klar ist, dass Hillary Clinton auf Nummer sicher ging, als sie bekanntgab, der 58-jährige Musikliebhaber werde ihr Kandidat für die Vizepräsidentschaft. Es hätte aufregendere Alternativen gegeben, Elizabeth Warren, Tom Perez oder Cory Booker etwa. Warren, eine Senatorin aus Massachusetts, ist so etwas wie die politische Zwillingsschwester von Bernie Sanders, weil sie die wachsende soziale Ungleichheit genauso kompromisslos wie Sanders zum Thema macht. Perez, Arbeitsminister im Kabinett Barack Obamas, wäre der erste Latino gewesen, der sich um das Amt des Vizepräsidenten beworben hätte. Booker, ein afroamerikanischer Senator aus New Jersey, machte sich als zupackender Bürgermeister der Problemstadt Newark einen Namen. Clinton hat alle drei in die engere Wahl genommen, letztlich aber wurde es ein Praktiker, von dem sie glaubt, dass er das Handwerk des Regierens beherrscht. Die Worte, mit denen sie Kaine am Freitagabend vorstellte, sind praktisch dieselben, mit denen sie sich selbst charakterisiert: „ein Progressiver, der die Dinge gern erledigt bekommt.“
Es war nicht das erste Mal, dass Timothy Michael Kaine als Mitfavorit für den Vizeposten gehan- delt wurde. Bereits Obama hat ihn 2008 ernsthaft in Betracht gezogen, bevor er sich für Joe Biden entschied. Kaine war damals Gouverneur Virginias, und als einer der ersten Demokraten von Rang war er schon zum Außenseiter Obama übergelaufen, als sich die meisten noch hinter Clinton, die klare Favoritin des Kandidatenduells, stellten. Dass sie ihm heute dennoch den Zuschlag gibt, zeigt zumindest, dass sie nicht nachtragend ist.
Im rationalen Kalkül der früheren Außen- ministerin soll Kaine wohl vor allem eines erreichen: Er soll dafür sorgen, dass der umkämpfte Bundesstaat Virginia im November Hillary Clinton wählt und nicht Donald Trump. Darüber hinaus soll er die weiße Arbeiterschaft ansprechen, ein Milieu, dem Trump mit seinen vollmundigen Versprechen vom industriellen Wiederaufbau nicht unwesentlich seinen überraschenden Aufstieg verdankt. Schließlich soll er in hartumkämpften „swing states“wie Florida oder Nevada punkten, wo überpro- portional viele Hispanics zu Hause sind. Seit er ein Jahr bei Missionaren in Mittelamerika verbracht hat, spricht er fließend Spanisch.
Kaine, bekennender Katholik, stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater arbeitete als Schweißer in Kansas City, wo er eine kleine Werkstatt betrieb. Der Junior besuchte eine Jesuitenschule, wollte ursprünglich Journalist werden, studierte zunächst an der University of Missouri und danach Jura an der prestigeträchtigen Harvard Law School. In Harvard beschließt er auf halber Strecke, für neun Monate nach Honduras zu gehen, um an einer Jesuitenmission zu unterrichten. Er habe die Tretmühle für eine Weile verlassen, um über seine Lebensziele nachzudenken, sagt Kaine. In Virginia macht er Karriere: ab 1998 Bürgermeister von Richmond, ab 2006 Gouverneur des Staates, seit 2013 US-Senator.
Vertreter des Establishments
Wenn man so will, ist Kaine ein klassischer Vertreter jenes politischen Establishments, an dem enttäuschte Wähler ihren Ärger so heftig abreagieren wie schon lange nicht mehr. Eigentlich ein Gegner der Todesstrafe, hat er es am Schreibtisch des Gouverneurs meist unterlassen, anstehende Hinrichtungen mit einem Veto zu stoppen. Elf Exekutionen in Virginia fallen in seine Amtszeit.
Im Senat, in dessen Auswärtigem Ausschuss er sitzt, stimmte er als einer von nur 13 Demokraten dafür, der Regierung grünes Licht für das Transpazifische Freihandelsabkommen TPP zu geben. Eine starke Fraktion in den Reihen seiner Partei nimmt ihm das Votum bis heute übel, ein Flügel, der den Verlust weiterer Industriearbeitsplätze in den USA fürchtet, sollte TPP in Kraft treten.
SCHWERPUNKT Demokraten: Duo gegen Trump