Die Türkei rückt weiter in den Osten
US-Präsident Barack Obamas Beteuerungen, die USA hätten nichts vom Putschversuch gewusst, verhindern nicht, dass die Beziehungen Ankaras zu Washington und zur Nato belastet sind.
ANALYSE: Wien – Trotz internationaler Unterstützung für Präsident Tayyip Erdogan nach dem niedergeschlagenen Putsch in der Türkei läuft es nicht ganz rund für Ankara. Der türkische Wunsch etwa, dass eine Erwähnung „der legitimen türkischen Regierung“und ihrer Leistungen in das Schlusskommuniqué der G20-Finanzminister, die am Wochenende in Chengdu tagten, inkludiert wird, wurde abgeschmettert. Quergelegt hatten sich EU-Mitglieder. Bereits am Samstag hatte der türkische Europaminister Ömür Çelik in Ankara säuerlich angemerkt, dass man „sehr erstaunt“sei, dass von den Verbündeten bisher niemand in Ankara zu einem Solidaritätsbesuch aufgetaucht sei.
Es sind nicht nur die sich nun voll entfaltenden autoritären Züge Erdogans, die international Sorge bereiten. Ein Punkt bleibt Incirlik, die Luftwaffenbasis, auf der die Nato Atombomben stationiert hat und deren türkischer Kommandant als Putschist verhaftet wurde. Dass die Basis – mitsamt dem US-Militärpersonal und dessen Familien – längere Zeit isoliert war, wurde von USA und Nato nicht öffentlich thematisiert; hinter den Kulissen wird das freilich anders gewesen sein.
In der Türkei, aber auch in arabischen Ländern, steht dem Lager, das den Putschversuch als eine Erdogan-Inszenierung sieht, eines gegenüber, das die USA – „Gastgeber“des von Erdogan als Drahtzieher genannten Fethullah Gülen – bezichtigt, ihre Finger im Spiel gehabt zu haben. US-Präsident Barack Obama sah sich genötigt, dies zu dementieren. Die Zeiten, in der er Erdogan als nachahmenswertes Modell eines neuen muslimischen demokratischen Staatsmanns sah, sind jedoch lange vorbei. In den USA werden die Stimmen lauter, die für den Abzug der Atomwaffen eintreten. Incirlik und damit gute US-Beziehungen zur Türkei bleiben aber entscheidend beim Kampf der US-geführten Militärallianz gegen den „Islamischen Staat“(IS).
Erdogan wird sich davon nicht verabschieden. Er wird aber die Beziehungen zu Russland weiter verbessern. Er erwartet, dass er dadurch – nach dem Schiffbruch seiner Syrien-Politik, die gleichzeitig die Kurden gestärkt und den IS-Terror in die Türkei gebracht hat – in Syrien weiter mitspielen kann. Auch Teheran, das sofort Erdogan unterstützte, wird nä- herrücken, während die Beziehungen zur Nato – alleine schon wegen des Wegfalls vieler als Putschisten verhafteten Nato-freundlichen Militärs – belastet sind. Komplex stellen sich auch Ankaras Beziehungen in der Region dar. Ägypten strafte alle Hinweise, dass eine Wiederannäherung zwischen Kairo und Ankara angelaufen sein könnte, Lügen und verhinderte im Uno-Sicherheitsrat ein Erdogan unterstützendes Statement: Kein Wunder, replizierte das türkische Außenamt, in Kairo säßen ja selbst die Putschisten am Ruder.
Saudi-Arabien, der Sponsor der Machtergreifung Abdelfattah alSisis von 2013, teilt dessen Abneigung gegen Muslimbrüder – Erdogan ist auch einer –, hat aber diese Frage hinantgestellt, damit die Türkei ihren Part in der sunnitischen Allianz gegen den Iran übernimmt. Dennoch war zu beobachten, dass das saudischgesteuerte Al-Arabiya- Mediennetzwerk ganz wie ägyptische Medien zu Beginn des Putsches sehr freundlich über diesen berichtete – und dann eine scharfe Kurve hinlegen musste.
Saudische Verwirrungen
Behauptet wird, dass dies die Haltung des starken jungen Mannes in Saudi-Arabien, Vizekronprinz Mohammed bin Salmans, reflektierte. Flugs behaupteten Muslimbruder-freundliche katarische Medien, dass die Vereinigten Arabischen Emirate und die Saudis von den Putschplänen gewusst und sie begrüßt hätten. AlArabiya behilft sich nun, indem es den Putschversuch als einen der Muslimbrüder gegen Erdogan beschreiben lässt.
Saudi-Arabien ist besorgt, dass Ankara ganz im Sinne Moskaus die türkisch-syrische Grenze geschlossen hält, was die Rebellen weiter schwächt. Für Israel wiederum sind die Erfolge der Hisbollah und des Iran bei Aleppo sehr unangenehm. Vorige Woche gab es ungewöhnlichen Besuch in Jerusalem: Ein saudischer Exgeneral und jetziger Thinktanker traf, begleitet von einer Delegation, israelische Offizielle, undenkbar ohne Zustimmung der allerhöchsten Stellen in Riad. Und Israel pflegt auch gute militärische Beziehungen zu Moskau und hat sich erst unlängst mit Ankara versöhnt.