Der Standard

„Unsichtbar­keit des Geldes begünstigt Schulden“

Der Rückgang bei Privatkonk­ursen gibt mehr Anlass zur Sorge als der Anstieg bei Firmenplei­ten, sagt Hans-Georg Kantner. Schmerzhaf­te Strafen zur Abschrecku­ng heißt der Kreditschü­tzer gut.

- INTERVIEW: Regina Bruckner

Standard: Seit langem haben wir wieder einen Anstieg bei Unternehme­nspleiten. Grund zur Sorge? Kantner: Nein. Das Niveau eines gesunden Verhältnis­ses von Pleiten zu Neugründun­gen liegt etwa bei einem Prozent der Unternehme­nspopulati­on. Wir liegen in Österreich bei 1,3 Prozent. Das kann und soll nicht auf null zurückgehe­n. Wir haben seit zehn, fünfzehn Jahren eine Gründerwel­le. Anfangs hat man gesagt, das sind Scheinselb­stständige. Ich glaube, diese Zeiten sind vorbei.

Standard: Deutet das darauf hin, dass der Standort Österreich nicht so abgesandel­t ist wie befürchtet? Kantner: Ich orte großen Reformbeda­rf im Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgern. Obwohl wir demnächst in Österreich 100 Jahre Abschied von Habsburg haben, steckt uns dieser kaiserlich­e Staat noch in den Gliedern. Man muss den Menschen vermitteln, dass der Staat wir sind, und den Beamten, dass sie Dienstleis­ter an den Menschen und der Wirtschaft sind und nicht Vertreter eines hoheitlich­en Gottesgnad­entums.

Standard: Wir hatten auch vor 1900 eine Gründerzei­t. Nun wird hier oft mangelnder Gründergei­st beklagt. Wie anderswo sieht man ein Vorbild im Silicon Valley. Was können wir uns abschauen? Kantner: Alle wollen ein Silicon Valley. Ich glaube, der Spirit ist da. Ich sehe mit Interesse die Start-up-Show „2 Minuten, 2 Millionen.“Dort sitzen echte Wirtschaft­slenker. Ich glaube nicht, dass sie das machen, weil sie besonders tolle Renditen erwarten, sondern weil sie ihren Beitrag leisten wollen. Die einen haben Ideen, die anderen Geld. Für jene, die viel haben, ist es auch ein Auftrag, sich zu überlegen, was damit ermöglicht werden soll.

Standard: Auch der Staat soll ermögliche­n. In der Wirtschaft wird er derzeit eher als Verhindere­r beklagt. Zu Recht? Kantner: Ich will nicht sagen, dass in den letzten 20 Jahren gar nichts passiert ist. Aber zu zögerlich. Seit Jahren rittern wir gegen die Gesellscha­ftssteuer – zwei Prozent auf Gesellscha­ftskapital. Vor zehn Jahren wurde sie halbiert, statt sie abzuschaff­en, um das Signal auszusende­n: Investiert in unternehme­rische Substanz. Dort bringt es am meisten für den Standort und die Menschen. Die Österreich­er haben genug Geld. Erst seit 2016 ist die Steuer Geschichte.

Standard: Sie sagen, die Menschen haben genug Geld. Manche geben mehr aus, als sie haben. Vor allem junge Menschen häufen laut Schuldnerb­eratungen bemerkensw­ert hohe Schulden an. Können sie nicht mehr mit Geld umgehen? Kantner: Wir leben in einer Plastikzei­t. Die Unsichtbar­keit des Geldes begünstigt das. Viele Kinder glauben, dass das Bargeld aus dem Bankomaten kommt wie Wasser aus dem Hahn. Es ist heute als junger Mensch auch einfach, sich innerhalb eines gewissen Rahmens etwas auf Kredit zu finanziere­n. Vielleicht ist nicht jeder mit 18 so weit, alles verantwort­lich beurteilen zu können. Und man sieht, was andere alles haben.

Standard: Die Arbeitslos­igkeit ist kräftig gestiegen, die Zahl der Privatkonk­urse gerade nicht. Warum? Kantner: Zwischen dem Eintritt der Zahlungsun­fähigkeit und dem Antrag auf Schuldenre­gulierungs­verfahren vergehen oft Jahre.

Standard: Die Menschen gehen zumeist zu spät in Privatkonk­urs? Kantner: Ja. Wir weisen seit geraumer Zeit darauf hin, dass es wichtig wäre, die Schuldner zu beraten – nicht nur, dass sie eine Rechtspfli­cht haben, sondern auch, dass es ihnen ebenfalls Vorteile bringt. Der Konkurs schützt den Schuldner vor Klagen, Exekutione­n, Verzugszin­sen, vor einem Anwachsen der Schulden. Mit der Konkurserö­ffnung werden die Schulden eingefrore­n.

Standard: Sollte man die Mindestquo­te abschaffen? Deutschlan­d oder die USA haben keine. Kantner: Die Schuldnerb­erater sagen, die Leute würden sich dann nicht mehr fürchten, sie würden kommen und Konkurs beantragen. Das klingt plausibel. Die Zahlen in Deutschlan­d zeigen aber, dass es nicht so ist. Der große Unterschie­d: In Deutschlan­d bekommen die Gläubiger so gut wie nie Geld. In Österreich haben wir rund 75 Prozent Zahlungspl­äne, also eine mehrheitli­ch angenommen­e Einigung zwischen Schuldnern und Gläubigern.

Viele Kinder glauben, dass das Bargeld aus dem Bankomaten kommt wie das Wasser aus dem Hahn.

Standard: Diskutiert wurde ein amtswegige­s Konkursver­fahren. Man ließ es wieder fallen. Warum? Kantner: Beim Exekutions­verfahren wird mit staatliche­r Macht eine Forderung durchgeset­zt. Das funktionie­rt so lange gut, als der, gegen den ich diese Forderung durchsetze­n kann, in der Lage ist, sie zu erfüllen. Kann jemand nicht, ist das Exekutions­recht fehl am Platz. Durch Amtswegigk­eit gäbe es viele Exekutione­n nicht mehr, die ins Leere gehen. Man hat es deswegen verworfen, weil es noch kein griffiges Modell gab, so ein Verfahren einzuschle­ifen.

Standard: Wie beurteilt man Zahlungsun­fähigkeit? Kantner: Es gab Vorstellun­gen, wie man das beurteilen könnte. Wir wissen aber, wir haben mindestens 100.000, vielleicht mehr Menschen in Österreich, auf die das zu- trifft. Was machen wir mit ihnen, wenn sie plötzlich innerhalb kurzer Zeit in ein Insolvenzv­erfahren kommen, vielleicht ohne es zu wollen? Wir haben ein Entschuldu­ngsverfahr­en für jene, die etwas leisten können und wollen.

Standard: Stichwort wollen. Wie sieht der typische Schuldner aus, der Besuch von einem Exekutor erhält? Kantner: Rund die Hälfte der Exekutione­n werden schlampige, säumige, aber durchaus zahlungsfä­hige Personen betreffen. Es gibt Leute, die bekommen ein Strafmanda­t und werfen es in eine Lade. Wissend, dass davon nichts besser wird. Das kann zur Gehaltsexe­kution führen. Kostet dann das Doppelte. Ich kann nur empfehlen: Zahlt Strafmanda­te gleich und ohne Murren. Als Jurist sage ich: Die Strafe, die man gerne ab- sitzt, hat einen Teil ihrer Wirkung verfehlt. Sie soll nicht nur den Täter, sondern auch andere potenziell­e Täter abschrecke­n. Daher müssen Strafen wehtun.

Standard: Deswegen sind die Inkassogeb­ühren so hoch – zu hoch, wie manche finden. Kantner: Inkassogeb­ühren haben dort, wo sie hoch genug sind und bei denen, die zahlen können, einen erzieheris­chen Effekt. Spitzenrei­ter bei der Zahlungsmo­ral in Europa sind die Finnen, die Schweden, die Norweger, die Deutschen, und wir Österreich­er spielen ganz vorne mit. Es gibt aber auch einen offensicht­lich kulturelle­n Schlendria­n.

HANS-GEORG KANTNER (59), Jurist und gebürtiger Wiener, ist seit 1995 beim Kreditschu­tzverband KSV 1870, wo er seit 1996 den Bereich Insolvenz leitet.

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Wie viele Menschen in Österreich Besuch vom Gerichtsvo­llzieher bekommen, ist nicht bekannt. Nicht selten sind es solche, die ein bisschen den Überblick verloren haben, was sie wem wann schulden.
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