Brüderliche Glanzgesänge
Der Concentus Musicus Wien, Andrés Orozco-Estrada und Beethovens Neunte bei der Styriarte
Graz – Die Neunte hätte den Beethoven-Zyklus von Dirigent Nikolaus Harnoncourt, der am 5. März verstarb, bei der Styriarte krönen sollen. Der Zyklus wurde vom Styriarte-Intendanten Mathis Huber dann auch als eine Art Hommage an den impulsiven Musikdenker neu gedacht und interessanten jungen Dirigentinnen und Dirigenten übertragen. Neben Karina Canellakis und Jérémie Rhorer kam auch Andrés Orozco-Estrada zum Zug: Er übernahm zwei Aufführungen der Neunten Symphonie wie auch die Vierte und die Fünfte Symphonie.
Die Brüderlichkeit
Von Orozco-Estradas Zugang zu Opus 125 wird in Erinnerung bleiben – neben dem überirdisch sanft wiegenden dritten Satz – das Finale: Die nicht selten zu roher Gewalt neigenden Anwandlungen und Aufwallungen des guten Willens und der Brüderlichkeit wurden bezüglich Tempo und „Furor“in überzeugende gesangliche Form gebracht.
Im ersten und im zweiten Satz stand der spürbare Wille im Vordergrund, die Beethoven’sche Zerrissenheiten und Vielschichtigkeiten „klangrednerisch“quasi einzeln ausloten zu wollen. Der Rundung zum geschlossenen Ganzen stand dies oft entgegen. Das spannungsvoll zelebrierte Herausblühen des Streicherthemas aus den Bläserlinien im dritten Satz – ein Schöpfungsakt im Kleinen – versöhnte dann mit der Ruppigkeit und der ein wenig unorganischen Hektik von Andrés Orozco-Estradas.
Das Finale aber war ein Erlebnis. Der Arnold Schoenberg Chor präsentierte seinen Part mit der Souveränität lobpreisender Erzengel ohne Vibrato, strahlend klar und auch im Piano mit der durch- schlagenden Kraft bronzener Glocken. Der Concentus Musicus Wien ließ „überm Sternenzelt“mit facettenreichem Flirren und Flimmern aufhorchen, während der Streicherklang im ersten und zweiten Satz nicht so recht zu glänzen anfangen wollte. Und der Bläsersound – dabei vor allem im Blech – war eher dumpf und leblos geblieben.
In diesem nun mit größter Umsicht bestellten instrumentalen Feld konnten sich sogar die Gesangssolisten leise Töne und durchgestaltete kantable Linien erlauben: Regula Mühlemann (kurzfristig eingesprungen für Genia Kühmeier), Elisabeth Kulman, Steve Davislim und Florian Boesch waren selbst im Beethoven’schen Titanismus ein differenziert gestaltendes Solistenensemble. In den leisen ätherischen Augenblicken überstrahlten sie den Orchesterpart quasi mit glanzvollen Zutaten. Beethovens Neunte Symphonie erlebt man bei den Salzburger Festspielen am 25. 7.