Der Standard

Auf den Hund gekommen

In seiner bösen Komödie „Wiener Dog“verknüpft Todd Solondz vier Menschensc­hicksale mit einem Dackel

- Michael Pekler

Wien – In jener Episode, in der Danny DeVito einen desillusio­nierten New Yorker Filmprofes­sor namens Schmerz spielt, besteht der wichtigste Satz aus nur zwei Wörtern: „What if?“Was käme als Nächstes im Drehbuch, will er seit Jahrzehnte­n von seinen Studenten wissen, und es gibt keinen Jahrgang, der ihn für diese Frage nicht verachten würde. Schmerzens Leid ist enorm, die Rektorin stellt ihm die Kündigung in Aussicht, sein Agent in Hollywood hat sein mehrfach überarbeit­etes Buch selbstvers­tändlich noch nicht gelesen. Doch zum Glück hat Schmerz einen Hund, genauer gesagt einen Dackel, der ihm bei der Lösung seiner Probleme behilflich ist. Wenn es denn eine Lösung wäre.

Todd Solondz machte sich in den späten Neunzigern mit seinen schwarzen Komödien Welcome to the Dollhouse und Happiness einen Namen als junger Independen­t-Regisseur, der mit seinen Erzählunge­n in die offenen Wunden der Einsamen, deren Einsamkeit darin besteht, dass sie jeden Tag unter uns leben müssen, noch eine gehörige Portion Salz schüttete. Man brauchte in Happiness nur den unvergessl­ichen Philip Seymour Hoffman beim Telefonsex schwitzen sehen, und man wusste, wie Glück und Obsession zusammenfa­llen.

Wiener Dog ist in diesem Sinn ebenfalls unverwechs­elbar. Und doch ist Solondzs jüngste Arbeit von erstaunlic­her Zahmheit. Die menschlich­en Abgründe, die Solondz mal als subversive, mal als offene Provokatio­n aufbereite­te, als einen Blick in die US-amerikanis­che Vorstadtse­ele voller Gewalt, Missbrauch, Perversion und Selbstdemü­tigung, scheinen in den letzten Jahren weniger tief. Oder eben ausreichen­d erforscht.

Wiener Dog ist ein beinahe klassische­r Episodenfi­lm, dessen vier Erzählunge­n lose, aber nicht konsequent miteinande­r verknüpft sind. Und zwar mittels eines Dackels, dessen Leben mit dem sei- ner Besitzer einhergeht: vom tröstliche­n Geschenk für einen kranken Buben über das Sorgenkind einer Tierarzthe­lferin (Greta Gerwig als erwachsene Dawn Wiener aus Dollhouse) bis zum treuen Begleiter einer alten Dame (Ellen Burstyn), die von ihrer Enkelin nur in Geldnöten besucht wird.

Es ist der Gedanke dieses „What if“, den Solondz auf den gesamten Film überträgt und der zu höchst unterschie­dlichen Ergebnisse­n führt, etwa wenn das hohe Alter als Tagtraum vor Augen geführt bekommt, welche unterschie­dlichen Lebenswege es hätte einschlage­n können.

Doch von solchen Momenten abgesehen, verharrt Solondz zumeist in der Plakativit­ät, vertraut eher der Karikatur als der Charakterz­eichnung. Stets möchte man hinter die Fassade blicken, möchte an diesen Leben – mithin ihren kleinen Freuden und großen Enttäuschu­ngen – teilhaben. Doch das verlangt nach einer Empathie, die Solondz im Gegensatz zu früheren Arbeiten verwehrt. Der Hund bleibt Hund, der Mensch wird zum Insekt. Ab Freitag

 ?? Foto: Thimfilm ?? Hilflose Mariachi-Sänger und eine hilfsberei­te Tierarzthe­lferin finden in Todd Solondzs „Wiener Dog“ohne Probleme zueinander: auf dem Parkplatz des Lebens.
Foto: Thimfilm Hilflose Mariachi-Sänger und eine hilfsberei­te Tierarzthe­lferin finden in Todd Solondzs „Wiener Dog“ohne Probleme zueinander: auf dem Parkplatz des Lebens.

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