Der Standard

„Das sind doch keine Peanuts!“

Kunstsamml­er und Compliance-Experte Michael Sellemond sieht im Fall Agnes Husslein politische Fehlentsch­eidungen und verletzte Aufsichtsp­flichten.

- INTERVIEW: Stefan Weiss Foto: privat

STANDARD: Sie arbeiten seit über zehn Jahren als Compliance­Experte in der Privatwirt­schaft, kennen als Kunstsamml­er auch den Kulturbetr­ieb gut. Wie beurteilen Sie den Fall im Belvedere? Sellemond: Die Dinge, die hier am Tisch liegen, sind gravierend. Wenn man die Rahmenbedi­ngungen, die es in der Privatwirt­schaft gibt, auf die Ergebnisse der Compliance-Untersuchu­ng im Belvedere-Fall umlegt, dann ist unverständ­lich, dass es hier keine harten Konsequenz­en gibt. In der Privatwirt­schaft sind Compliance-Richtlinie­n heute mindestens so wichtig wie die Zahlen selbst. Das Topmanagem­ent haftet persönlich für die Einhaltung der Compliance. Wenn Sie mich fragen, hat hier auch das Kuratorium als Kontrollor­gan seine Aufsichtsp­flichten verletzt.

STANDARD: Sie haben eine Petition gegen die Vertragsve­rlängerung Agnes Hussleins unterzeich­net. Ist Kulturmini­ster Drozdas Entscheidu­ng, Husslein bis zum Auslaufen ihres Vertrags im Amt zu lassen, vertretbar? Sellemond: Ich halte das für absolut unvertretb­ar, eine klare Fehlentsch­eidung. Darum habe ich auch die Petition unterschri­eben. Offensicht­lich hat der Minister keine Ahnung, was Compliance bedeutet. Es gibt immerhin ein Schuldeing­eständnis – Frau Husslein zahlt allein für die bekannten Verletzung­en Tausende Euro zurück. Das sind doch keine Peanuts! Seinen Dienstort in den Sommermona­ten nach Kärnten verlegen und Reisespese­n verrechnen? Solche Vergehen sind kein Kavaliersd­elikt. Man tut jetzt so, als wäre nichts passiert. Man versucht wohl, unter den Teppich zu kehren.

STANDARD: Es gab auch Dienstfrei­stellungen und Kündigunge­n. Sellemond: Das zeigt auch schon auf, was hier vorgeht. In der Privatwirt­schaft gibt es aus gutem Grund Whistleblo­wer-Regelungen, nach denen die Mitarbeite­r sogar verpflicht­et sind, Verstöße gegen die Compliance zu melden. Dann wird recherchie­rt, und wenn es stimmt, hat das für den Whistleblo­wer keinerlei Konsequenz.

STANDARD: Fördern scharfe Compliance-Regeln das Denunziant­entum? Sellemond: Wenn die Leute wissen, dass Verleumdun­gen zu sehr harten Konsequenz­en führen, dann werden sie es sich gut überlegen, jemanden zu denunziere­n. In der Privatwirt­schaft funktionie­rt das auch gar nicht.

STANDARD: Das Kuratorium und Unterstütz­er wollen Verstöße und Leistungen der Direktorin abwiegen – Husslein habe dem Museum mehr gebracht, als sie es gekostet habe. Kann man so argumentie­ren? Sellemond: Das ist völlig irrelevant. Das kommt auch gerade von jenen Leuten, die selbst einen Interessen­skonflikt haben: unterstütz­ende Galeristen, Künstler – Leute, die vom Belvedere profitiert haben. Zu sagen, jemand brauche sich nicht an Compliance zu halten, solange er gute Leistungen für das Haus bringt – das ist doch Mittelalte­r! Auch die Argumentat­ion, dass Museumsdir­ektorin ein Job sei, bei dem man privat und beruflich nicht mehr voneinande­r trennen könne, ist völlig irrelevant. Das könnte man ja über jeden Topmanager genauso sagen. STANDARD: Manche fordern „Narrenfrei­heit“für den Kulturbetr­ieb, sprechen von „Bagatellbe­trag“und „die Kirche im Dorf lassen“. Sellemond: Diese Aussagen und Medienberi­chte haben mich sehr verwundert. Offenbar herrscht hier große Unkenntnis.

STANDARD: Hinkt der Kulturbetr­ieb bei Compliance hinterher? Sellemond: Es gab genügend Vorfälle, wo die Politik längst hätte feststelle­n müssen, dass man hier ein Problem hat. Lange gab es gar keine Compliance-Regelungen in den Museen. Jetzt hat man welche, sagt aber quasi, dass sie sowieso nicht einzuhalte­n sind.

STANDARD: Manche Kulturmana­ger klagen über den „Anfütterun­gsparagraf­en“, weil er die Sponsorena­kquise hemme. Verständli­ch? Sellemond: Nein. Mir tun Kulturbetr­iebe überhaupt nicht leid, wenn sie diese Rahmenbedi­ngungen, die wichtig sind, um Korruption zu verhindern, mittragen müssen. Denn wie man sieht, braucht es diese Regelungen ja.

MICHAEL SELLEMOND (56) arbeitet seit 13 Jahren im Bereich Compliance and Controls für ein Pharmaunte­rnehmen. In der Anker-Brotfabrik eröffnete der Tiroler Kunstsamml­er vor vier Jahren den Kunstraum Sellemond.

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Früher Kolleginne­n, jetzt Konfliktpa­rteien: Gegen Belvedere-Chefin Agnes Husslein-Arco (links) wurde vonseiten der dienstfrei gestellten Prokuristi­n Ulrike Gruber-Mikulcik Strafanzei­ge erstattet.
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