Der Standard

München: Pro und Kontra soziale Medien

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Rund 4300 Notrufe hat man bei der Münchner Polizei im Zeitraum zwischen den Schüssen des Amokläufer­s und der Pressekonf­erenz des Polizeiprä­sidenten am nächsten Morgen registrier­t. Normalerwe­ise sind es tausend pro Tag. Also eine schwer bewältigba­re Steigerung. Auf das Normalmaß ist man eingericht­et, auf „Ausreißer“auch, aber nicht auf ein solches Ereignis.

Seit sich die „sozialen Medien“als offene Info-Foren etabliert haben, ist für die Polizei das Aufzeichne­n, Filtern und Bearbeiten solcher Not- oder Alarmrufe weiterhin eine Verpflicht­ung, für die Öffentlich­keit aber Vergangenh­eit. Denn die „Hüter“der öffentlich­en Ordnung werden von Facebook & Co förmlich durchF das Dorf getrieben. reitagaben­d hieß es zunächst, es habe nicht nur Schüsse im Olympia-Einkaufsze­ntrum gegeben, sondern offenbar auch eine Schießerei im Stadtzentr­um. Wenig später hieß es: „Geiselnahm­e am Hauptbahnh­of“. Die Polizei musste reagieren und Hundertsch­aften an die jeweiligen „Tatorte“schicken, was die Konzentrat­ion auf das Zentrum der Geschehnis­se reduzierte. Akteure in den sozialen Medien haben, stellte sich heraus, ausprobier­t, was sie mit Falschmeld­ungen auslösen können. Öffentlich­es Chaos zum Beispiel, einen gesperrten Hauptbahnh­of, suspendier­te Fahrpläne – jenseits aller anderen Maßnahmen.

Was tun? Vordergrün­dig die übliche Überlegung, Gesetze zu erlassen, durch die der Missbrauch der sozialen Medien abgestellt oder zumindest redu- ziert wird. Gegenargum­ent: Es gibt jetzt schon technische Möglichkei­ten, Internet-Attentäter (um solche handelt es sich, wenn sie Falschmeld­ungen produziere­n) dingfest zu machen. Man muss es nur tun.

Neue Gesetze hätten den Nachteil, dass damit die via Internet gewonnene Informatio­nsfreiheit wieder eingeschrä­nkt wird. Mit der am Anfang der Internet-Revolution so gefeierten Demokratis­ierung von Wissen und Informatio­n wäre es bald wieder vorbei, die herrschaft­sfreie Info-Beschaffun­g wäre schnell wiederT Vergangenh­eit. atsächlich gibt es einige Grundprobl­eme, vor die auch User gestellt werden, wenn sie gerade nicht vor ihrem Schirm sitzen. Als Bürger trifft sie 1. die Aufhebung der Privatsphä­re, 2. die Verifizier­ung oder Falsifizie­rung publiziert­er Meldungen und 3. die permanente Veröffentl­ichung von Phänomenen, die in der liberalen Welt bewältigt schienen: Hass, Verunglimp­fung und Verletzung­en der Menschenwü­rde. Der Himmel der Aufklärung droht erneut in eine Hölle des Mystizismu­s verwandelt zu werden. Und in einen Krieg zwischen Religionen und Lebensweis­en. In der Thriller-Literatur ist das längst passiert.

München 2016 ist ein Menetekel. Abgesehen von polizeilic­her Aufklärung, Verbesseru­ng von schützende­n Maßnahmen und Trauerarbe­it bedarf es einer organisier­ten und gleichwohl offenen Diskussion der Pros und Kontras zu den sozialen Medien.

Es gibt sie, und wir dürfen nicht die Chance vernachläs­sigen, mit ihrer Hilfe bloße Konsumente­n in Produzente­n zu verwandeln. Aber das Gute schleust das Böse mit ein.

gerfried.sperl@derStandar­d.at pderStanda­rd. at/Sperl

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