Der Standard

Welcher Wahnsinn möglich ist

Terror, Amoklauf: Wir müssen lernen, mit den Folgen und der Angst umzugehen

- Alexandra Föderl-Schmid

Zuerst war das Chaos, dann die üblichen Reaktionen: Verschärfu­ng des Waffenrech­ts, mehr Mittel für die Polizei, Einsatz von Soldaten. Erstaunlic­herweise wurde nicht der Ruf nach mehr Psychologe­n laut. Nach den Ereignisse­n von München an diesem Wochenende begann gleich mit Verve die Debatte über Fehler der Polizei: Wurde nicht überreagie­rt, als man den ganzen öffentlich­en Nahverkehr und Autobahnen gesperrt hat? Wurde nicht dadurch erst recht Panik ausgelöst? Wer kommt für den Schaden auf, der entstanden ist, weil eine Metropole stundenlan­g lahmgelegt wurde? Hätte es ohne Facebook und Twitter diese Aufregung überhaupt gegeben? Warum transporti­eren Medien diese Meldungen weiter?

Diese Fragen und Debatten sind berechtigt, es geht um das Verhalten in Extremsitu­ationen, die plötzlich alltäglich geworden sind, wie die vergangene­n zehn Tage zeigen: Nizza, Türkei, Baton Rouge, Würzburg, München, Reutlingen – ein Putsch in der Türkei, ansonsten Anschläge, Attentate, Amokläufe. Es verschwimm­en auch die Begrifflic­hkeiten: Wie nennt man das, wenn ein offenbar psychisch kranker Mensch junge Menschen in ein Lokal bestellt und dann erschießt? Ist das dann doch ein Anschlag, weil es keine spontane, sondern eine geplante Tat war? Diese Diskussion gab es schon im Vorjahr, als ein Pilot ein vollbesetz­tes Flugzeug zum Absturz brachte. ie ersten Reaktionen nach Bekanntwer­den der Schüsse in München von Polizei, Medien und eigentlich jedem, der das Weltgesche­hen in den vergangene­n Jahren verfolgt hat, sind verständli­ch: Weil nach den Attentaten von 9/11, Oslo, Paris, Nizza – um nur einige zu nennen – jede Wahnsinnst­at möglich scheint: Wer hätte vor einigen Jahren gedacht, dass Flugzeuge oder ein Lkw als Mittel zum Massenmord eingesetzt werden oder sich Männer mit Sprengstof­fgürteln gleichzeit­ig in europäisch­en Städten in die Luft sprengen?

Wir alle sind infiziert von dieser Angst, die durch Selbstmord­attentäter, die „berühmt“werden wollen, genauso geschürt wird wie von der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS). Ein Bekenntnis des IS war am Freitagabe­nd schon sehr früh da. Es kursierten im Netz zu dem Zeitpunkt Fotos des angebliche­n Täters, der als Neonazi beschriebe­n wurde. Dabei war es

Ddas Bild eines US-Komikers, das sich rasend schnell über das Internet verbreitet hatte. Selbst Berichte von Augenzeuge­n, die „Allahu akbar“-Rufe gehört und mehrere Täter mit Langwaffen gesehen haben wollten, stellten sich hinterher als falsch heraus.

Die Polizei musste diese Hinweise ernst nehmen, ihnen nachgehen und sich für die schlimmstm­öglichen Situatione­n vorbereite­n. Medien müssen aber nicht alles aufgreifen, was im Netz kursiert. Aber es ist in solchen Situatione­n nicht einfach, Entscheidu­ngen zu treffen und zu eruieren, was nun gesichert ist: Wenn selbst die Poli- zei von „akuter Terrorlage“spricht, dann wird es wohl ein Anschlag sein. Deshalb ist die Quellenang­abe bei solchen Meldungen besonders wichtig zur Einordnung. Es gibt auch immer wieder die Forderung, nicht zu berichten: einfach, um keine Nachahmerr­eaktionen zu provoziere­n. Das ist in solchen Situatione­n keine Option.

Aber hinterher ist man klüger. Das gilt für Polizei und für Medien, die sowieso ohnehin immer alles besser wissen. Wir alle müssen wohl lernen, mit dieser Angst und diesem Wahnsinn umzugehen und zumindest nicht auch noch Panik zu verbreiten.

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