Der Standard

Was Wien von Miami lernen kann

Mehr als 100.000 kubanische Bootsflüch­tlinge kamen 1980 in die USA. Der Großteil war schlecht ausgebilde­t und siedelte sich in Miami an. Das drückte das dortige Lohnniveau über die Jahre stark, wie ein Ökonom zeigt. Seine Rechnung lässt sich auch auf Wien

- Andreas Sator

Wien – Die Karibikins­el Kuba lockt derzeit nicht nur zigtausend­e Touristen an, sondern hilft auch dabei, die Auswirkung­en der hohen Zuwanderun­g nach Österreich vom Vorjahr besser zu verstehen. Dafür muss man aber ein paar Jahrzehnte in die Vergangenh­eit zurück. Genau das hat eine nun in ihrer Endversion veröffentl­ichte Studie getan.

Seit der Machtübern­ahme von Fidel Castro 1959 sind über eine Million Kubaner vor dem repressive­n Regime in die USA geflohen. So viele wie innerhalb einiger weniger Wochen 1980 sollten es aber bis heute nie wieder sein. Die kubanische Wirtschaft schaffte es nicht, genügend Jobs und Wohnungen zu schaffen. Nach Protesten gab Castro den Hafen von Mariel für die Ausreise frei. Zwischen April und Juni sind über 100.000 Kubaner, seither „Marielitos“genannt, nach Florida geflohen. Der Großteil der Flüchtling­e hat sich daraufhin im Großraum Miami angesiedel­t.

Sie brachten kaum eine Ausbildung mit, zwei von drei Bootsflüch­tlingen waren Schulabbre­cher. George Borjas, einer der renommiert­esten Migrations­ökonomen und selbst in seiner Kindheit aus Kuba in die USA migriert, nahm das zum Anlass für eine Studie. Er wollte wissen, was das für die Löhne der Schulabbre­cher in der Region Miami hieß. Immerhin jeder Vierte im erwerbsfäh­igen Alter hatte 1980 dort ebenfalls die Schule abgebroche­n.

Zu welchen Ergebnisse­n kam Borjas also? Die Löhne von schon länger in Miami lebenden männlichen Schulabbre­chern sind je nach Lesart innerhalb von einigen Jahren um mindestens zehn bzw. bis zu 30 Prozent gefallen. Bei einem Gehalt von 1200 Dollar kommt das Lohneinbuß­en von 120 bis 360 Dollar gleich. Die Auswirkung­en auf die einheimisc­he Bevölkerun­g waren also enorm. Die Integratio­n dürfte aber rasch geklappt haben, viele fanden Anschluss bei der bereits vorhandene­n kubanische­n Community in der Gegend. Einem Bericht der New York Times aus dem Jahr 1990 zufolge haben fast alle zugewander­ten Kubaner Jobs gefunden.

Was bei Borjas für Verwirrung sorgt: Die Löhne der schon länger in Miami lebenden Schulabbre­cher sind nach zehn Jahren wieder auf ihr altes Level gestiegen. Das widersprec­he der gängigen Theorie, dass die Löhne einige Jahre nach einer Zuwanderun­gswelle allgemein wieder schneller steigen, für die am stärksten betroffene Gruppe aber langsamer.

Stärker sinkende Löhne

Aber was lässt sich aus der Studie nun für Österreich lernen? Wenn Borjas recht hat, könnten durch die Zuwanderun­g von fast 90.000 Menschen im Vorjahr auch die Lohneinbuß­en für Geringqual­ifizierte in Österreich stärker ausfallen als bisher gedacht. Eine Studie der Donau-Uni Krems und von EcoAustria schätzt, dass die Löhne von Menschen mit wenig formaler Bildung in Österreich bis 2020 um drei Prozent niedriger sein werden als ohne Flüchtling­e. Wer dann also 1200 Euro verdient, verliert im Monat so 40 Euro. Das Papier wurde aber geschriebe­n, als die Balkanrout­e noch nicht geschlosse­n war. Die Ökonomen haben mit deutlich mehr Asylwerber­n kalkuliert. Drücken die Migranten aber ähnlich wie in Miami auf die Löhne, dürften die monatliche­n Einbußen 40 Euro noch einmal deutlich übersteige­n.

Eine Berechnung des STANDARD kommt nach der Borjas-Methode für Wien auf ein theoretisc­hes Minus für Geringqual­ifizierte von 50 bis 150 Euro. Weil die Mindestlöh­ne in Österreich aber höher sind als in den USA, dürfte sich das eher in stagnieren­den Löhnen zeigen als in Kürzungen des oft ohnehin niedrigen Salärs.

Der Ökonom George Borjas betont seit Jahren, dass Ökonomen und Medien die Nachteile von Migration heruntersp­ielen. Zwar würden Unternehme­n und Besserverd­iener, die Dienstleis­tungen von Migranten in Anspruch nehmen, profitiere­n. Geringqual­ifizierte sind aber die Verlierer, weil sie mit den Zuwanderer­n am Jobmarkt in Konkurrenz stehen.

 ??  ?? 1980: Ein Boot voller kubanische­r Flüchtling­e setzt im Süden Floridas an. Binnen Wochen sind damals 100.000 Kubaner in die USA gezogen.
1980: Ein Boot voller kubanische­r Flüchtling­e setzt im Süden Floridas an. Binnen Wochen sind damals 100.000 Kubaner in die USA gezogen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria