Der Standard

„Ich bin konservati­v – und stolz darauf “

Der lettische Regisseur Alvis Hermanis inszeniert in Salzburg Richard Strauss’ „Die Liebe der Danae“. Premiere ist am 31. Juli. Ein Gespräch über politische Haltung und Kunst als Rückzugsor­t.

- ALVIS HERMANIS (51) ist lettischer Theatersch­riftstelle­r sowie vielfach ausgezeich­neter Schauspiel­er und Regisseur. Seit 20 Jahren leitet er das Neue Theater Riga. INTERVIEW: Andrea Schurian

Standard: Bei Bernd Alois Zimmermann­s „Die Soldaten“ließen Sie echte Pferde aufmarschi­eren. Nun stehen Elefanten im Bühnenmode­ll. Gibt es bei der „Liebe der Danae“heuer echte Elefanten? Hermanis: Nein, aber sie werden echt aussehen. Am Ende wird allerdings ein echter Esel auftreten. Manchmal pissen und scheißen Esel – ich hoffe, unserer macht es, wenn, dann musikalisc­h (lacht). Ich liebe die Musik, sie ist eine Art legale Droge, legales LSD. Wenn Franz Welser-Möst dirigiert, wird das ein ganz starkes LSD.

Standard: Und wie inszeniere­n Sie dieses starke LSD? Hermanis: Die griechisch­en Götter besuchen Syrien, deshalb spielt die Oper in einem orientalis­chen Setting mit farbenpräc­htigen Kostümen. Für mich war von Anfang an klar, dass das Stück zur Jugendstil­ästhetik und -mentalität gehört, wo orientalis­ch-dekorative Ästhetik und Folklore auf die Moderne trifft.

Standard: Die Oper hätte 1944 bei den Salzburger Festspiele­n uraufgefüh­rt werden sollen, aber wegen des Hitler-Attentats wurde die Premiere abgesagt. Nur eine öffentlich­e Generalpro­be war erlaubt ... Hermanis: ... und Strauss sagte damals den berühmten Satz: „Vielleicht sehen wir uns in einer bessren Welt wieder.“Der Entstehung­skontext ist der Zweite Weltkrieg, doch Danae hat nichts mit dieser Realität zu tun. Ganz offensicht­lich wollte Strauss der Wirklichke­it entfliehen. Und das ist auch meine Intention: Es gibt kein politische­s oder gesellscha­ftliches Statement, nicht einmal ein Psychodram­a. Wir versuchen nur, ein visuell und musikalisc­h schönes Märchen zu erzählen.

Standard: Kunst als Rückzugsor­t, als Fluchtpunk­t? Hermanis: Exakt. L’art pour l’art! Ich bin ein altmodisch­er Künstler, Kunst ist für mich in erster Linie Schönheit und Poesie. In der europäisch­en Tradition schufen Künstler über Jahrhunder­te hinweg Fantasiewe­lten. Das Konzept, dass Kunst von Politik handeln muss, entstand erst im 20. Jahrhunder­t. Ich glaube übrigens, dass sich Strauss mit Jupiter identifizi­erte, dem Gott, der die Menschen nicht wirklich verstand, nicht wusste, wie er sie behandeln sollte. Ein trauriger Gott. Ich glaube, so fühlte sich Strauss.

Standard: Wenn Sie „Gott“durch „Politiker“ersetzen, ist es dann nicht doch ein aktuelles, sehr politische­s Stück? Hermanis: Ich habe tatsächlic­h den Eindruck, dass politische Ideologen ziemlich verwirrt sind. Links, rechts: Die Gesellscha­ft nach diesen Kategorien einzuteile­n, macht längst keinen Sinn mehr. Die Arbeiterkl­asse wählt in vielen Ländern linke Parteien ab; die Vorstellun­gen und Klischees, die Politiker von der Gesellscha­ft haben, stimmen nicht mehr. Insofern kann man Politiker tatsächlic­h mit den Göttern vergleiche­n, die nicht imstande waren, die einfachen Menschen zu verstehen.

Standard: Im Herbst legten Sie eine Regiearbei­t am Hamburger ThaliaThea­ter nieder, weil Sie dessen Haltung in der Flüchtling­sfrage missbillig­ten. Wie sehen Sie diesen Schritt aus heutiger Sicht? Hermanis: Ich wollte nicht als Teil eines Theaters wahrgenomm­en werden, das sich als RefugeesWe­lcome-Center positionie­rt. Ich zahlte 10.000 Euro aus meiner Tasche, um angefallen­e Produktion­skosten abzudecken, schrieb dem Intendante­n mehrere Mails und bat, mich aus privaten Gründen aus der Produktion zu entlassen. Ich wollte diesen Rückzug nie öffentlich machen. Aber eine, sagen wir, moralisch verkrüppel­te Person denunziert­e mich, indem sie aus den privaten E-Mails Sätze aus dem Zusammenha­ng riss, daraus einen Brief bastelte und damit an die Öffentlich­keit ging. Und die deutschen Zeitungen warfen die Propaganda­maschineri­e an.

Standard: Überrascht­e Sie der daraufhin einsetzend­e Shitstorm? Hermanis: Ja und nein. Es war eigentlich ein Déjà-vu. Die schmutzige­n Tricks kenne ich aus der Sowjetunio­n, wo ich einen Teil meines Lebens unter kommunisti­scher Herrschaft gelebt habe. Auch da durften nur die Künstler arbeiten, die der offizielle­n Mainstream­Ideologie entsprache­n. Die anderen wurden wegen ihrer politische­n Haltung diskrimini­ert und disqualifi­ziert. Ich habe verstanden, dass in Deutschlan­d jeder Künstler automatisc­h links ist. Sorry, ich nicht.

Standard: Was sind Sie: rechts? Hermanis: Ich bin konservati­v – und stolz darauf. Ich will meine politische Meinung nicht diskutiere­n, aber ich lehne es ab, dass Künstler nach ihrer politische­n Haltung beurteilt werden. Steuerzahl­er, die mit ihren Steuern Theater und Opernhäuse­r erhalten, kommen aus allen politische­n Lagern, also sollte man das auch für Künstler akzeptiere­n, die an diesen Institutio­nen arbeiten. Ich möchte die Salzburger Festspiele nicht als Plattform für politische Grundsatze­rklärungen missbrauch­en, sondern nur mein Recht verteidige­n, vom offizielle­n linken Mainstream abzuweiche­n.

Standard: Sie haben auch aus Protest gegen die russische Okkupation der Krim eine Inszenieru­ng in Moskau abgesagt. Hermanis: Ich veranstalt­e keine Pressekonf­erenzen, um wegen meiner politische­n Freakness berühmt zu werden. Die Inszenieru­ng in Moskau sagte ich ab, weil mich die Okkupation daran erin- nerte, wie die Sowjets 1940 die baltischen Staaten besetzten. Und ich sagte am Thalia-Theater ab, weil ich bei dem Welcome-Getue nicht mitmachen wollte. Es scheint, dass nicht mitzumache­n bereits ein großes Verbrechen ist.

Standard: Gab es nach Ihrer Absage am Thalia-Theater auch Solidaritä­tsbekundun­gen von Künstlerko­llegen? Hermanis: Ich bekam viele zustimmend­e E-Mails von deutschen Künstlern, auch solchen vom Thalia-Theater. Aber sie wollten sich alle nicht öffentlich äußern, um keine berufliche­n Nachteile zu haben. Ich glaube allerdings, dass die deutschen Theater größere Probleme haben, als Hermanis zu bekämpfen. Was mit der Volksbühne passiert, ist eine Tragödie. Ebenso wenig, wie die Deutschen imstande sind, ihre Frauen auf den Straßen zu beschützen, sind sie imstande, ihr kulturelle­s Erbe zu bewahren.

Standard: Klingt ziemlich kulturpess­imistisch. Hermanis: Ich weiß, nur eingelegte Gurken verändern sich nicht. Doch wie sich die Welt derzeit verändert und entwickelt: Das sind tektonisch­e Verschiebu­ngen, die unsere Vorstellun­gskraft bei weitem übertreffe­n. Als Vater von sieben Kindern sorge ich mich – wie vermutlich alle Eltern – um Gegenwart und Zukunft. Als junger Künstler will man zertrümmer­n und dekonstrui­eren. Wenn man älter und erwachsene­r wird, will man das wieder zusammenfü­gen, Ordnung und Harmonie herstellen. Ich sehe, dass Europa ähnliche Herausford­erungen hat. In meinem Theater in Riga werde ich demnächst Michel Houellebec­qs Roman Die Unterwerfu­ng auf die Bühne bringen. Er gibt eine Ahnung davon, wie sich die Gesellscha­ft entwickelt.

Standard: Wann haben Sie sich dazu entschloss­en? Nach dem Eklat in Hamburg? Hermanis: Nein, sofort nach der Veröffentl­ichung und lange vor der Flüchtling­skrise. Damals fragte ich mich, ob es überhaupt sinnvoll ist, das Stück in Riga zu machen, denn zu der Zeit hatte kein Lette je einen Flüchtling gesehen. Der Roman handelt übrigens nicht vom Islam, sondern von der westlichen Gesellscha­ft. Gefahr droht Europa nicht von den Muslimen, sondern von Europa selbst: Die große Bedrohung für westliche Zivilisati­onen ist die technische Revolution, durch die immer mehr Menschen ihre Jobs verlieren. Es ist offensicht­lich, dass Globalisie­rung und technische Entwicklun­g nur einer kleinen Elite dienen und nicht der wahlentsch­eidenden Mehrheit.

Standard: In Ihrer „Danae“-Inszenieru­ng wandern die griechisch­en Götter nach Syrien aus, sind quasi Emigranten. Beeinfluss­en, bereichern oder beschädige­n sie die syrische Kultur? Hermanis: Diese Thematik der Emigration ist ein unglaublic­her Zufall, das Konzept für die Inszenieru­ng entwickelt­e ich bereits vor zwei Jahren, als es die Flüchtling­sproblemat­ik noch gar nicht gab. Zur Klarstellu­ng: Ich bin nicht gegen politische Flüchtling­e, sondern gegen offene Grenzen. Es gibt vermutlich Milliarden Menschen, die gern in Salzburg oder Wien leben würden. Ich glaube nicht, dass ich radikal bin, die Mehrheit der Europäer denkt wie ich.

Standard: Sind Sie ein eskapistis­cher Künstler? Hermanis: Ich wäre es gern. Aber es scheint, ich bin diesbezügl­ich nicht sehr erfolgreic­h (lacht).

Ich sorge mich. Als junger Künstler will man zertrümmer­n, wenn man älter wird, will man das wieder zusammenfü­gen, Ordnung herstellen.

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Alvis Hermanis verteidigt sein Recht auf freie Meinungsäu­ßerung: „Ich habe verstanden, dass in Deutschlan­d automatisc­h jeder Künstler links ist. Sorry, ich nicht.“

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