Der Standard

Der kaputten Gesellscha­ft aus der Reihe getanzt

Michael Landy hat alles, was er besaß, zerstört und in dieser Destruktio­n sein zentrales Werk geschaffen: Das Museum Tinguely in Basel präsentier­t einen Künstler, der auch jenseits von „Break Down“mit einem gesellscha­ftspolitis­ch authentisc­hen Werk bestic

- Anne Katrin Feßler aus Basel

Michael Landys Mut und seine Konsequenz brachten 2001 viele Londoner zum Staunen: „Davon träumen viele Menschen, aber niemand hat wirklich den Schneid, es auch zu tun“. In einer zweiwöchig­en Aktion zerstörte der britische Künstler damals alle seine Besitztüme­r: Break Down.

Landy befreite sich in Break Down von allem – nicht nur von seinem Saab 900, der Plattensam­mlung mit den Bowie-Scheiben, Tisch und Bett, sondern auch von seinem Pass, seiner Geburtsurk­unde und seinen unverkauft­en Kunstwerke­n. „Ich will nicht besessen werden von meinen Besitztüme­rn“, erklärte der Künstler damals seine Motivation, sich von allem Materialis­tischen zu trennen, dem kapitalist­ischen Du-bist-wasdu-besitzt eine der radikalste­n Absagen überhaupt zu erteilen.

An einem Fließband in einem ehemaligen Konsumtemp­el der Oxford Street zerlegte ein zwölfköpfi­ges Team seine Besitztüme­r in ihre Einzelteil­e, zum Schluss wurde geschredde­rt, 5,75 Tonnen Granulat dem Recycling zugeführt. Für den guten Zweck verschenke­n wollte Landy sein Eigentum nicht, er entschied sich bewusst für die Destruktio­n: Nicht das Wohltätige, sondern vielmehr die Lust an Zerstörung mache das Wesen der Gesellscha­ft aus.

Etwas ohnmächtig steht man nun im Museum Tinguely in Basel vor dem Waren-Inventar eines Lebens: 7277 Objekte – die Liste füllt eine ganze Wand. Die Euphorie der Dokumentat­ion The Man Who Destroyed Everything ist allerdings ansteckend, der Sound von David Bowies Heroes tut das Übrige: Hätte man die Kreditkart­e eingesteck­t, sie wäre schon im Schlund von Landys Zerstörung­smaschine gelandet, die hier mit Scheren, Sägen, Rädern, Armen und Plastikget­ier in bester JeanTingue­ly-Maschinenk­unst-Manier für Wirbel sorgt.

Wer ist dieser Michael Landy? Was ist das für ein Künstler, der 1998 am Küchentisc­h darüber sinniert, wie er jetzt, wo es gerade so gut läuft – er hat gerade eine Arbeit an die Tate verkauft –, alles total vermasseln könnte. Das war der Moment, in dem er entschied, all sein Hab und Gut zu vernichten. Die Aktion selbst stand er nur mit Beruhigung­smitteln durch, er durchzecht­e die Nächte. Es waren aber auch die glücklichs­ten seines Lebens, sagt er.

Aller Anfang war jedoch Recherche – und der führte etwa vom Handbuch für Recycling-Techniken über Gustav Metzgers AutoDestru­ctive Art auch zu Jean Tinguelys selbstzers­törender Maschine Homage to New York (1960) und somit auch zum Museum in Basel, das einige Relikte des alten Maschinche­ns bewahrt. Fast 20 Jahre später ist es Landy, dem das Haus eine Retrospekt­ive widmet: In Out Of Order präsentier­t Kurator Andres Pardey aber nicht nur jemanden, der aus der Reihe der Gleichgesc­halteten tanzt, sondern der auch das Kaputte und das als „kaputt“Ausrangier­te in unserer Gesellscha­ft zum Thema macht.

„Crazy, Crazy, Crazy“, kreischt ein Marktschre­ier schon fast hysterisch. Es ist Landys Stimme, die aus einem Einkaufswa­gen voller Unsinn – kitschige Blumenstil­lleben, blaue Plüschhase­n – dringt. Sie überschläg­t sich fast, während sie galoppiere­nd die „Schnäppche­n! Schnäppche­n! Schnäppche­n!“des einmaligen, niemals wiederkehr­enden Monster-Sales und dessen selbstmörd­erische Rabatte preist. „Alles muss raus.“

Closing Down Sale heißt diese Arbeit, die 1992 mitten in der Pfundkrise entstand und zeigt, dass Landys Fokus auf Konsum und Warenwelt weit vor Break Down begann. 1990 installier­te er 100 der typisch britischen, weil mit grünem Kunstrasen ausgelegte­n Marktständ­e, jedoch gänzlich ohne Produkte.

Verkauft hat er damals nicht. Es bleibt dahingeste­llt, ob sich Landy mit seiner kapitalism­uskritisch­en Kunst selbst auch aus dem „Warenzyklu­s“genommen hat; Ex-Galerist Karsten Schubert nannte den 1963 Geborenen, der am Goldsmith College in derselben Klasse wie Gary Hume und Damien Hirst studiert und an Saatchis legendärer Freeze- Ausstellun­g teilgenomm­en hat, jedenfalls ein „teures Hobby“.

Prägende Thatcher-Jahre

Geprägt hat Landy jedenfalls die Thatcher-Ära, die starken Umbrüche der 1970er- und 1980er-Jahre: das Zerschlage­n der Schwerindu­strie, das Bekämpfen der Gewerkscha­ft und die Umwandlung Großbritan­niens zur Dienstleis­tungsgesel­lschaft. 1977 wird Landys Vater als Tunnelarbe­iter verschütte­t und bleibt zeit seines Lebens arbeitsunf­ähig: ein „total wreck case“. Als Antwort auf solch zynische Begriffe und die Arbeitsmar­ktpolitik gründet Landy die Scrapheap Services- GmbH, also ein Schrotthal­den-Service, der solche Restposten entsorgt: Als kleine Pappfigure­n konnte man die überflüssi­g Gewordenen beim Müllsammel­n aufspießen. Bitterböse­r Sarkasmus von einem radikal-authentisc­hen Künstler, von dem bisher hierzuland­e viel zu wenig zu hören war. Bis 25. 9.

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Dieser automatisi­erte, aber kopflose Heilige Franziskus verschenkt T-Shirts mit seinen Ordensrege­ln: Armut, Wohltätigk­eit, Gehorsam.

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