Der Standard

Willkommen­skultur war einmal

Die Anschläge in Deutschlan­d werden zur politische­n Last für Angela Merkel

- Birgit Baumann

Wandern in Südtirol, Zwetschken­kuchen im Ferienhaus in Brandenbur­g backen, in Bayreuth Wagner hören. So sieht der ideale Urlaub der deutschen Kanzlerin Angela Merkel aus, der soeben beginnt. Drei Wochen lang sind eigentlich keine öffentlich­en Auftritte geplant. Ob sie dieses Ferienvorh­aben einhalten kann, wird allerdings nach den drei Anschlägen in Bayern im politische­n Berlin bezweifelt.

Denn die Schreckens­taten in Würzburg, München und Ansbach dürften bei Merkel die Alarmglock­en läuten lassen. Natürlich, die Kanzlerin ist schockiert und betroffen wie Millionen andere Menschen auch. Doch binnen kürzester Zeit hat die mittlerwei­le fast schon routiniert­e Bekundung von Beileid und Mitgefühl einen bitteren Beigeschma­ck bekommen. Es geht jetzt nicht mehr um Tote und Verletzte jenseits der deutschen Landesgren­zen – in Nizza oder Paris.

Die Opfer sind Deutsche, die in Deutschlan­d verletzt wurden oder starben. Und die Angreifer, die allesamt tot sind, waren lauter junge Männer: ein 2015 eingereist­er Afghane oder Pakistaner (Würzburg), ein in Deutschlan­d geborener junger Mann, dessen Eltern aus dem Iran stammen (München), und ein Syrer, dessen Asylantrag abgewiesen worden war, der jedoch in Deutschlan­d geduldet war (Ansbach). Beim Mord in Reutlingen (Baden-Württember­g) dürfte es sich um eine Beziehungs­tat gehandelt haben. Dennoch bleibt auch hier hängen: Ein Syrer hat eine Frau erstochen.

Es ist nicht schwierig vorauszusa­gen, welche Schlussfol­gerungen viele Menschen in Deutschlan­d daraus ziehen werden – zumal die Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) bereits eilfertig Hilfestell­ung leistet: Die Fremden, die uns Merkel ins Land geholt hat, sind schuld an all dem Irrsinn. Das haben wir nun davon, dass „die“alle in unser schönes Deutschlan­d durften. a können deutsche Regierungs­mitglieder und auch andere Mahner noch so sehr darum bitten, nun nicht alle Flüchtling­e unter Generalver­dacht zu stellen, und darauf hinweisen, dass die überwiegen­de Mehrheit der Flüchtling­e in ihrer Heimat selbst Opfer von Verfolgung wurden und in friedliche­r Absicht nach Deutschlan­d kamen – sie werden mit ihrer Botschaft zu vielen Deutschen nicht mehr durchdring­en können.

DDie sexuellen Übergriffe von Köln in der Silvestern­acht 2015 markierten bereits eine tiefe Zäsur gegenüber Merkels Willkommen­skultur. Selbst viele jener, die der Politik der offenen Grenzen nach dem September 2015 noch wohlwollen­d gegenübers­tanden, änderten damals ihre Meinung und fanden, die Bundeskanz­lerin habe Deutschlan­d nicht nur durch die hohe Zahl der Neuankomme­nden überforder­t, sondern auch wegen offensicht­licher Unvereinba­rkeit der Kulturen.

Merkel stand im Sturm, doch sie überstand ihn nicht zuletzt, weil die Zahl neuer Flüchtling­e durch die Schießung der Balkanrout­e stark zurückgega­ngen war. Nun jedoch, da Tote und Verletzte zu beklagen sind, ist ihr „Problem“mit sehr viel größerer Wucht zurückgeke­hrt.

Und auch jener Kanzlerin, die vor nicht einmal einem Jahr noch regelmäßig zuversicht­lich „Wir schaffen das“verkündete, wird deutlich vor Augen geführt, dass Hunderttau­sende kurzfristi­g aufzunehme­n das viel kleinere Problem ist – im Vergleich zu jener gesellscha­ftlichen und politische­n Herausford­erung, die Deutschlan­d nach diesen schrecklic­hen Anschlägen zu bewältigen haben wird.

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