Der Standard

KOPF DES TAGES

Die Kronzeugin, die nicht zu Olympia darf

- Birgit Riezinger

Die Einladung des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC) muss Julia Stepanowa wie ein Hohn vorkommen. Das IOC sei „dankbar für ihr Engagement, deshalb laden wir sie und ihren Ehemann ein, in Rio Gäste des IOC zu sein. Wir zeigen damit, dass wir bereit sind, sie zu unterstütz­en.“

Stepanowa aber hatte nicht geplant, die Olympische­n Spiele in Rio de Janeiro als Touristin zu besuchen. Die Mittelstre­ckenläufer­in wollte über 800 Meter antreten. Nach der Sperre der russischen Leichtathl­eten durch den Weltverban­d durfte sie – wegen ihrer Rolle als Whistleblo­werin im russischen Dopingskan­dal – auf eine Starterlau­bnis für Rio hoffen. Die Hoffnung hat sich zerschlage­n. Stepanowa, so begründet es das IOC, erfülle „nicht die ethischen Anforderun­gen an einen olympische­n Athleten“. Das IOC hat allen russischen Sportlern, die schon einmal wegen Dopings gesperrt waren, das Startrecht verwehrt.

Stepanowa war zwischen 2013 und 2015 suspendier­t – wegen Auffälligk­eiten in ihrem biologisch­en Pass. Aber die 30-Jährige aus Kursk ist nicht eine von vielen Doperinnen. In der im Dezember 2014 ausgestrah­lten ARDDokumen­tation Geheimsach­e Doping packte sie gemeinsam mit Witali Ste- panow, mit dem sie seit 2009 verheirate­t ist, über das systematis­che Doping in ihrem Land aus.

Stepanow war Mitarbeite­r der russischen Antidoping­agentur Rusada und berichtete von angeordnet­en Manipulati­onen.

Während den Kronzeugen im Ausland Anerkennun­g für ihre Aussagen zuteilwurd­e, wurden sie in Russland als „Verräter“beschimpft. Nach Ausstrahlu­ng der ARD-Doku verließen die beiden mit ihrem im November 2013 geborenen Sohn Robert ihr Heimatland. Bereits achtmal sind sie seither umgezogen. Derzeit leben sie an einem geheimen Ort in den USA. Nicht einmal die Familien zu Hause wissen, wo sie sind.

Vor drei Wochen zeigte sich Stepanowa bei der Europameis­terschaft in Amsterdam. Als einzige Russin durfte sie starten. Als neutrale Athletin lief sie über 800 Meter. „I run clean“, war auf ihrer Startnumme­r zu lesen. Nach 630 Metern gab sie verletzt auf.

Stepanowa, geboren als Julia Russanowa, wurde bei der Hallen-EM 2011 Dritte, bei der WM 2011 Achte und bei der Hallen-WM 2012 Sechste. Diese Ergebnisse wurden ihr aberkannt.

In Rio hätte für sie der olympische Gedanke gezählt. Einfach nur das Dabeisein. Als Sportlerin. Nicht als Gast.

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Foto: AFP Julia Stepanowa packte in Sachen russisches Dopingsyst­em aus.

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