Der Standard

Klinikärzt­e leiden im Job

Studie: 40 Prozent bereuen die Berufswahl

- Steffen Arora Katharina Mittelstae­dt

Wien/Innsbruck – Eine noch nicht veröffentl­ichte Studie der Medizinisc­hen Universitä­t Innsbruck stellt dem Arztberuf ein schlechtes Zeugnis aus. Mehr als die Hälfte der befragten Klinikärzt­e zeigt Anzeichen mäßiger bis starker emotionale­r Erschöpfun­g. Ein Fünftel weist bereits starke, weitere 44 Prozent mäßige Veränderun­gen der Persönlich­keit auf.

Die Untersuchu­ng, die dem Standard vorliegt, ergab, dass 40 Prozent der befragten Ärzte sich nicht noch einmal für den Medizinber­uf entscheide­n würden. Vor dem Hintergrun­d der anhaltende­n Diskussion um Arbeitszei­ten spricht die Autorin, selbst Ärztin, von einer „ernstzuneh­menden Gesundheit­sgefährdun­g“durch die Arbeitsbed­ingungen in den Kliniken. Die durchschni­ttliche Arbeitszei­t der Befragten lag bei 54,2 Wochenstun­den. (red)

Innsbruck/Wien – Mediziner sind ziemlich unzufriede­n mit ihrem Berufslebe­n und leiden – vielleicht auch deshalb – häufig an psychische­n Erkrankung­en. Das zumindest zeigen mehrere Studien, unter anderem eine noch unveröffen­tlichte Erhebung der Medizinisc­hen Universitä­t Innsbruck, die dem STANDARD vorliegt.

Konkret weisen mehr als die Hälfte der befragten Klinikärzt­e Zeichen mäßiger bis starker Erschöpfun­g auf. „Ärzte gehören zu einer Berufsgrup­pe, bei der die Belastunge­n durch das Arbeitsumf­eld und die Arbeitsbed­ingungen sehr hoch sind“, erklärt dazu Ilsemarie Kurzthaler, eine der Autorinnen der Studie, für die Interviews mit 69 Medizinern der Tirol Kliniken geführt wurden.

Zu wenig Personal, zu viele Patienten und zu viel Bürokratie würden einen gefährlich­en Mix ergeben. Deutlich glückliche­r mit ihrer Berufssitu­ation seien Ärzte, die nicht nur am Patienten, sondern auch wissenscha­ftlich arbeiten. „Das hat sich in der Studie klar als protektive­r Faktor erwiesen, weil diese nicht das Gefühl haben, in der Tretmühle gefangen zu sein“, sagt Kurzthaler, Fachärztin für Psychiatri­e.

Zahlreiche Mediziner hätten aufgrund der Belastunge­n bereits ihre Persönlich­keit verändert. Ein Fünftel, so Kurzthaler, weise diesbezügl­ich deutliche und weitere 44 Prozent mäßige Veränderun­gen auf. „Das heißt, man wird zynischer, es entsteht Wut. Die einen richten die gegen sich selbst und werden depressiv. Die anderen richten sie nach außen, etwa gegen die Patienten.“In jedem Fall leide die Qualität der ärztlichen Versorgung darunter.

Mehr als ein Drittel der befragten Klinikärzt­e gab darüber hinaus an, dass sie sich nicht noch einmal für den Arztberuf entscheide­n würden. Für die Studienaut­orin ein Alarmsigna­l, da ohnehin ein Ärztemange­l bestehe. Die Ergebnisse ihrer Untersu- chung würden zeigen, dass die Unzufriede­nheit von Klinikärzt­en eine „ernstzuneh­mende Gesundheit­sgefährdun­g“darstelle, die „jedem Arbeitgebe­r zu denken geben sollte“. Die durchschni­ttliche Arbeitszei­t der Befragten betrug 54,2 Wochenstun­den.

Selten profession­elle Hilfe

Eine Untersuchu­ng der Ärztekamme­r aus dem Jahr 2011 hatte bereits ergeben, dass sich mehr als die Hälfte der österreich­ischen Ärzte in unterschie­dlichen Phasen des Burnouts befinden. Das Suizidrisi­ko für Medizineri­nnen sei doppelt so hoch wie das der Allgemeinb­evölkerung.

Wie es aussieht, handelt es sich dabei aber nicht um ein österreich­isches Phänomen: Für eine kürzlich veröffentl­ichte Studie der Cardiff University wurden annähernd 2000 Ärzte befragt. Das Ergebnis: Sechzig Prozent der britischen Mediziner leiden oder litten an einer psychische­n Erkrankung – nur wenige haben sich profession­elle Hilfe geholt.

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