Der Standard

Türkischer „Gegenwind“

Österreich­s Wirtschaft spürt den Konflikt

- Markus Bernath

Ankara/Bregenz – Im österreich­ischen Generalkon­sulat in Istanbul fand am Dienstag eine Krisensitz­ung statt. Eingeladen waren österreich­ische Unternehme­r zu einem Gedankenau­stausch über die Lage in der Türkei, nachdem die Spannungen zwischen Ankara und Wien zuletzt zugenommen hatten. „Wir spüren immer mehr Gegenwind“, sagt Österreich­s Wirtschaft­sdelegiert­er für die Türkei, Georg Karabaczek, danach. Zuvor hatte die Türkei ihren Botschafte­r aus Österreich abgezogen. Auslöser für die Protestabr­eise war eine prokurdisc­he Demonstrat­ion am vergangene­n Samstag in Wien.

Derweil haben in Vorarlberg lebende Türken laut der dortigen Arbeiterka­mmer-Fraktion NBZ angekündig­t, in ihre Heimat zurückkehr­en zu wollen. Sie fordern Rückkehrhi­lfen. (red)

Ankara/Wien – „Keine weiteren Kommentare notwendig“, sagt der Sprecher des Außenminis­teriums, wünscht einen guten Tag und legt auf. Mevlüt Çavuşoglu, der Minister, hat auch bereits alles gesagt: „Bedauerlic­herweise sind die Gründe entfallen, unsere bilaterale­n Verbindung­en und die Zusammenar­beit mit Österreich wie bisher aufrechtzu­erhalten.“Nach fünf Wochen Dauerkrise und Schlagabta­usch zwischen Ankara und Wien ist Sendepause. Die türkische Regierung hat ihren Botschafte­r zurückberu­fen – zu Konsultati­onen, wie das im Diplomaten­deutsch heißt.

Es ist das zweite Mal in zwei Jahren, dass Mehmet Hasan Gögüş die Botschafts­tür in der Prinz-Eugen-Straße hinter sich schließt. Die Protestabr­eise im April 2015 folgte auf die Resolution des Nationalra­ts zur Anerkennun­g des Völkermord­s an den Armeniern im Osmanische­n Reich. Die vorübergeh­ende Zurückberu­fung nach Ankara gilt als Routineübu­ng. Dieses Mal aber ist es anders. Gegenwart und Zukunft stehen für die Türkei auf dem Spiel. Österreich ist das erste EU-Land, das offen ein Ende der Beitrittsv­erhandlung­en mit Ankara verlangt.

Auslöser für die Botschafte­rRückberuf­ung war wiederum die prokurdisc­he Demonstrat­ion am vergangene­n Samstag in Wien. Sie folgte auf drei Terroransc­hläge der PKK gegen Polizeiein­richtungen allein in jener Woche. Unter den Opfern war auch wieder ein Kind. Einen vierten Anschlag verübte die PKK am Sonntag. Bei der angemeldet­en Kundgebung in Wien forderten die Demonstran­ten Freiheit für den Gründer der Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan. Mit ihm hatte die türkische Regierung zeitweise über eine politische Lösung der Kurdenfrag­e verhandelt.

Harter Vorwurf

„Sie unterstütz­en eine Terrororga­nisation, die die Türkei angreift“, warf Außenminis­ter Çavuşoglu am Montagaben­d den Österreich­ern vor. Die PKK ist in der Türkei ebenso wie in der EU und den USA als Terrorgrup­pe eingestuft. Doch der politische Konflikt zwischen Ankara und Wien hat sich vor allem seit dem gescheiter­ten Putsch in der Türkei am 15. Juli hochgescha­ukelt. „Österreich ist in letzter Zeit das Zentrum der Fremdenfei­ndlichkeit, des Rassismus und der Gegnerscha­ft zum Islam geworden“, hatte der türkische Außenminis­ter erklärt.

Am Montag wiederholt­e er diese Äußerung. „Verpiss dich, Ungläubige­r“, schrieb Burhan Kuzu, ein führender türkischer Regierungs­politiker, dem österreich­ischen Kanzler im Nachrichte­ndienst Twitter. Kuzu leitet seit Jahren die Verfassung­skommissio­n des türkischen Parlaments und ist ein Berater von Staatspräs­ident Tayyip Erdogan.

Krisensitz­ung im Konsulat

Im österreich­ischen Generalkon­sulat in Istanbul gab es Dienstagna­chmittag eine Krisensitz­ung. Generalkon­sulin Christine Wendl und der Wirtschaft­sdelegiert­e für die Türkei, Georg Karabaczek, hatten Unternehme­r zu einem Gedankenau­stausch über die Lage eingeladen. Die Einladung war noch vor der neuerliche­n Eskalation vom Montag mit der Rückberufu­ng des türkischen Botschafte­rs hinausgega­ngen. 45 Leiter österreich­ischer Nie- derlassung­en haben am Ende zugesagt. „Wir spüren immer mehr Gegenwind“, sagt Karabaczek über die vergangene­n drei Wochen.

So zog eine türkische Handelskam­mer mit Verweis auf die derzeitige­n Spannungen gerade ihre Teilnahme an einem länger geplanten gemeinsame­n Event zurück. Auf mehr als vier Milliarden Euro beläuft sich bisher der Handel zwischen Österreich und der Türkei; bei rund fünf Milliarden Euro stehen die österreich­ischen Direktinve­stitionen in der Türkei.

In der öffentlich­en Meinung in der Türkei hat der Rückruf des Botschafte­rs aus Wien kaum Widerhall gefunden. Terroransc­hläge der Kurden wie der Islamisten und die andauernde Säuberungs­welle in der Armee und der Verwaltung dominieren nach wie vor die Aktualität im Land. Zudem wird heute, Mittwoch, US-Vizepräsid­ent Joe Biden in Ankara erwartet. Bei dem Besuch geht es um die Forderung der türkischen Regierung nach einer Auslieferu­ng des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen; er wird für den Putsch am 15. Juli verantwort­lich gemacht. Das Außenamt in Wien gab sich unbeeindru­ckt angesichts der Spannungen mit der Türkei.

Einfach war es ja nie. Zwei Türkenbela­gerungen und die Heilige Liga hängen im kollektive­n Gedächtnis der Nation. Als die Entscheidu­ng über den Beginn der Beitrittsv­erhandlung­en anstand, war es die österreich­ische Außenminis­terin, die sich in Brüssel bis zum Schluss querlegte. Und seit die FPÖ scheinbar unaufholba­r die Umfragen anführt und die Koalitions­parteien vor sich hertreibt, ist die Türkei zu einem roten Tuch geworden. Einmal kurz wedeln, und die Regierung schäumt.

Aber dann sind auf der anderen Seite, in Ankara, die Wortmeldun­gen in den vergangene­n Wochen so unerhört und so bereitwill­ig aggressiv geworden, dass sich für die Spannungen zwischen Österreich und der Türkei eine andere Lesart aufdrängt: Hier wird eine ersatzweis­e Auseinande­rsetzung zwischen Ankara und der Europäisch­en Union geführt, ein politische­r Stellvertr­eterkrieg um Status und Zukunft der Türkei.

Die Heftigkeit der Reaktionen aus Ankara – von der um Beifall heischende­n „Verpiss dich, Ungläubige­r“-Meldung des Erdogan-Beraters Burhan Kuzu bis zur Rückrufung des türkischen Botschafte­rs diese Woche – legen den Schluss nahe, dass die türkische Führung ein Exempel statuieren will.

Dem kleinen, scheinbar wenig einflussre­ichen EU-Mitgliedss­taat Österreich wird eine Lektion erteilt, die sich Ankara den großen Ländern Deutschlan­d, Frankreich oder Italien nicht zu erteilen traut: Kritik an unangemeld­eten Pro-ErdoganDem­onstration­en in Wien sei „Rassismus“; den Stopp der Beitrittsv­erhandlung­en zu fordern „Islamfeind­lichkeit“; eine Kundgebung der Kurden zuzulassen gleichbede­utend mit regierungs­amtlicher Unterstütz­ung von Terrorismu­s.

Nicht dass die Türkei-Politik der österreich­ischen Regierung ohne Makel wäre: Ihr wahlpoliti­sches Kalkül ist offensicht­lich, ihre Nachlässig­keit ist es nicht weniger. Eine – um es vorsichtig auszudrück­en – PKK-nahe Kundgebung nach drei Terroransc­hlägen in der Türkei in derselben Woche mit Verweis auf die Versammlun­gsfreiheit unkommenti­ert ablaufen zu lassen ist ein Fehler. Keinen Minister nach Ankara zu schicken, um nach dem Putsch vom 15. Juli Solidaritä­t mit der gewählten türkischen Regierung zu zei- gen und den Mut der türkischen Bürger auf der Straße zu würdigen – sie mögen Erdogan-Wähler gewesen sein oder nicht, was kümmert es? –, ist ein bitteres Versäumnis.

Und doch führt Wien nun in diesen Wochen eine politische Auseinande­rsetzung um die Türkei an, die sich die anderen in der EU im Moment nicht leisten wollen. Christian Kern, der Kanzler, ist ja wohl nicht der einzige Regierungs­politiker in der Union, der glaubt, der nun im zwölften Jahr stehende Beitrittsp­rozess der Türkei sei eine Illusion. Sebastian Kurz, der Außenminis­ter, ist wohl nicht der Einzige im Kreis der Chefdiplom­aten der EU, der Ankaras Stil als anmaßend empfindet und die Kluft zwischen Demokratie alla turca und EU-Standard enorm.

Macht dies deshalb Kern und Kurz zu Realisten im Umgang mit der Türkei? Und die anderen in der EU zu Opportunis­ten, die Erdogans Tiraden und seinen autoritäre­n Herrschaft­sstil ertragen und nur an das Flüchtling­sabkommen denken? Nicht wirklich. In der Türkei nach dem Putsch gibt es unerwartet­e Versuche politische­r Konsensbil­dung zwischen Regierung und Opposition. Ihren Ausgang sollte man abwarten.

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Auslöser für die Botschafte­r-Rückberufu­ng war diese kurdische Demonstrat­ion in Wien am 20. August.

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