Türkischer „Gegenwind“
Österreichs Wirtschaft spürt den Konflikt
Ankara/Bregenz – Im österreichischen Generalkonsulat in Istanbul fand am Dienstag eine Krisensitzung statt. Eingeladen waren österreichische Unternehmer zu einem Gedankenaustausch über die Lage in der Türkei, nachdem die Spannungen zwischen Ankara und Wien zuletzt zugenommen hatten. „Wir spüren immer mehr Gegenwind“, sagt Österreichs Wirtschaftsdelegierter für die Türkei, Georg Karabaczek, danach. Zuvor hatte die Türkei ihren Botschafter aus Österreich abgezogen. Auslöser für die Protestabreise war eine prokurdische Demonstration am vergangenen Samstag in Wien.
Derweil haben in Vorarlberg lebende Türken laut der dortigen Arbeiterkammer-Fraktion NBZ angekündigt, in ihre Heimat zurückkehren zu wollen. Sie fordern Rückkehrhilfen. (red)
Ankara/Wien – „Keine weiteren Kommentare notwendig“, sagt der Sprecher des Außenministeriums, wünscht einen guten Tag und legt auf. Mevlüt Çavuşoglu, der Minister, hat auch bereits alles gesagt: „Bedauerlicherweise sind die Gründe entfallen, unsere bilateralen Verbindungen und die Zusammenarbeit mit Österreich wie bisher aufrechtzuerhalten.“Nach fünf Wochen Dauerkrise und Schlagabtausch zwischen Ankara und Wien ist Sendepause. Die türkische Regierung hat ihren Botschafter zurückberufen – zu Konsultationen, wie das im Diplomatendeutsch heißt.
Es ist das zweite Mal in zwei Jahren, dass Mehmet Hasan Gögüş die Botschaftstür in der Prinz-Eugen-Straße hinter sich schließt. Die Protestabreise im April 2015 folgte auf die Resolution des Nationalrats zur Anerkennung des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich. Die vorübergehende Zurückberufung nach Ankara gilt als Routineübung. Dieses Mal aber ist es anders. Gegenwart und Zukunft stehen für die Türkei auf dem Spiel. Österreich ist das erste EU-Land, das offen ein Ende der Beitrittsverhandlungen mit Ankara verlangt.
Auslöser für die BotschafterRückberufung war wiederum die prokurdische Demonstration am vergangenen Samstag in Wien. Sie folgte auf drei Terroranschläge der PKK gegen Polizeieinrichtungen allein in jener Woche. Unter den Opfern war auch wieder ein Kind. Einen vierten Anschlag verübte die PKK am Sonntag. Bei der angemeldeten Kundgebung in Wien forderten die Demonstranten Freiheit für den Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan. Mit ihm hatte die türkische Regierung zeitweise über eine politische Lösung der Kurdenfrage verhandelt.
Harter Vorwurf
„Sie unterstützen eine Terrororganisation, die die Türkei angreift“, warf Außenminister Çavuşoglu am Montagabend den Österreichern vor. Die PKK ist in der Türkei ebenso wie in der EU und den USA als Terrorgruppe eingestuft. Doch der politische Konflikt zwischen Ankara und Wien hat sich vor allem seit dem gescheiterten Putsch in der Türkei am 15. Juli hochgeschaukelt. „Österreich ist in letzter Zeit das Zentrum der Fremdenfeindlichkeit, des Rassismus und der Gegnerschaft zum Islam geworden“, hatte der türkische Außenminister erklärt.
Am Montag wiederholte er diese Äußerung. „Verpiss dich, Ungläubiger“, schrieb Burhan Kuzu, ein führender türkischer Regierungspolitiker, dem österreichischen Kanzler im Nachrichtendienst Twitter. Kuzu leitet seit Jahren die Verfassungskommission des türkischen Parlaments und ist ein Berater von Staatspräsident Tayyip Erdogan.
Krisensitzung im Konsulat
Im österreichischen Generalkonsulat in Istanbul gab es Dienstagnachmittag eine Krisensitzung. Generalkonsulin Christine Wendl und der Wirtschaftsdelegierte für die Türkei, Georg Karabaczek, hatten Unternehmer zu einem Gedankenaustausch über die Lage eingeladen. Die Einladung war noch vor der neuerlichen Eskalation vom Montag mit der Rückberufung des türkischen Botschafters hinausgegangen. 45 Leiter österreichischer Nie- derlassungen haben am Ende zugesagt. „Wir spüren immer mehr Gegenwind“, sagt Karabaczek über die vergangenen drei Wochen.
So zog eine türkische Handelskammer mit Verweis auf die derzeitigen Spannungen gerade ihre Teilnahme an einem länger geplanten gemeinsamen Event zurück. Auf mehr als vier Milliarden Euro beläuft sich bisher der Handel zwischen Österreich und der Türkei; bei rund fünf Milliarden Euro stehen die österreichischen Direktinvestitionen in der Türkei.
In der öffentlichen Meinung in der Türkei hat der Rückruf des Botschafters aus Wien kaum Widerhall gefunden. Terroranschläge der Kurden wie der Islamisten und die andauernde Säuberungswelle in der Armee und der Verwaltung dominieren nach wie vor die Aktualität im Land. Zudem wird heute, Mittwoch, US-Vizepräsident Joe Biden in Ankara erwartet. Bei dem Besuch geht es um die Forderung der türkischen Regierung nach einer Auslieferung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen; er wird für den Putsch am 15. Juli verantwortlich gemacht. Das Außenamt in Wien gab sich unbeeindruckt angesichts der Spannungen mit der Türkei.
Einfach war es ja nie. Zwei Türkenbelagerungen und die Heilige Liga hängen im kollektiven Gedächtnis der Nation. Als die Entscheidung über den Beginn der Beitrittsverhandlungen anstand, war es die österreichische Außenministerin, die sich in Brüssel bis zum Schluss querlegte. Und seit die FPÖ scheinbar unaufholbar die Umfragen anführt und die Koalitionsparteien vor sich hertreibt, ist die Türkei zu einem roten Tuch geworden. Einmal kurz wedeln, und die Regierung schäumt.
Aber dann sind auf der anderen Seite, in Ankara, die Wortmeldungen in den vergangenen Wochen so unerhört und so bereitwillig aggressiv geworden, dass sich für die Spannungen zwischen Österreich und der Türkei eine andere Lesart aufdrängt: Hier wird eine ersatzweise Auseinandersetzung zwischen Ankara und der Europäischen Union geführt, ein politischer Stellvertreterkrieg um Status und Zukunft der Türkei.
Die Heftigkeit der Reaktionen aus Ankara – von der um Beifall heischenden „Verpiss dich, Ungläubiger“-Meldung des Erdogan-Beraters Burhan Kuzu bis zur Rückrufung des türkischen Botschafters diese Woche – legen den Schluss nahe, dass die türkische Führung ein Exempel statuieren will.
Dem kleinen, scheinbar wenig einflussreichen EU-Mitgliedsstaat Österreich wird eine Lektion erteilt, die sich Ankara den großen Ländern Deutschland, Frankreich oder Italien nicht zu erteilen traut: Kritik an unangemeldeten Pro-ErdoganDemonstrationen in Wien sei „Rassismus“; den Stopp der Beitrittsverhandlungen zu fordern „Islamfeindlichkeit“; eine Kundgebung der Kurden zuzulassen gleichbedeutend mit regierungsamtlicher Unterstützung von Terrorismus.
Nicht dass die Türkei-Politik der österreichischen Regierung ohne Makel wäre: Ihr wahlpolitisches Kalkül ist offensichtlich, ihre Nachlässigkeit ist es nicht weniger. Eine – um es vorsichtig auszudrücken – PKK-nahe Kundgebung nach drei Terroranschlägen in der Türkei in derselben Woche mit Verweis auf die Versammlungsfreiheit unkommentiert ablaufen zu lassen ist ein Fehler. Keinen Minister nach Ankara zu schicken, um nach dem Putsch vom 15. Juli Solidarität mit der gewählten türkischen Regierung zu zei- gen und den Mut der türkischen Bürger auf der Straße zu würdigen – sie mögen Erdogan-Wähler gewesen sein oder nicht, was kümmert es? –, ist ein bitteres Versäumnis.
Und doch führt Wien nun in diesen Wochen eine politische Auseinandersetzung um die Türkei an, die sich die anderen in der EU im Moment nicht leisten wollen. Christian Kern, der Kanzler, ist ja wohl nicht der einzige Regierungspolitiker in der Union, der glaubt, der nun im zwölften Jahr stehende Beitrittsprozess der Türkei sei eine Illusion. Sebastian Kurz, der Außenminister, ist wohl nicht der Einzige im Kreis der Chefdiplomaten der EU, der Ankaras Stil als anmaßend empfindet und die Kluft zwischen Demokratie alla turca und EU-Standard enorm.
Macht dies deshalb Kern und Kurz zu Realisten im Umgang mit der Türkei? Und die anderen in der EU zu Opportunisten, die Erdogans Tiraden und seinen autoritären Herrschaftsstil ertragen und nur an das Flüchtlingsabkommen denken? Nicht wirklich. In der Türkei nach dem Putsch gibt es unerwartete Versuche politischer Konsensbildung zwischen Regierung und Opposition. Ihren Ausgang sollte man abwarten.