Renzi macht Rückzieher
Italiens Premier will nicht abtreten, sollte das Volk seine Verfassungsreform ablehnen
Italiens Premier Matteo Renzi nahm seine Drohung, beim Scheitern der neuen Verfassung zu gehen, wieder zurück.
Italiens Premier hat es wie ein Mantra wiederholt: „Meine Regierung ist da, um das Land zu reformieren. Wenn die Italiener die Reformen nicht wollen, dann hat die Regierung keinen Sinn mehr. Dann gehen wir alle nach Hause.“Im Blick hatte Matteo Renzi dabei in erster Linie die Verfassungsreform, über die die Italiener an der Urne abstimmen werden. Das Datum für das Referendum steht noch nicht fest; es muss aber aus gesetzlichen Gründen vor Mitte November stattfinden.
Als Renzi sein politisches Schicksal mit dem Ausgang der Verfassungsabstimmung verband, glaubte er noch, den Sieg in der Tasche zu haben. Dessen kann er sich inzwischen aber keineswegs mehr sicher sein. Und so kam am Sonntagabend, bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach den Sommerferien, der spektakuläre Rückzieher: „Wie auch immer die Abstimmung ausgehen wird – Neuwahlen gibt es erst im Jahr 2018, nach dem regulären Ende der laufenden Legislatur“, stellte der Premier klar. Und: „Es war ein Fehler von mir zu sagen, dass es sich um ein Referendum über Renzi handelt.“Es war das erste Mea culpa des sonst so selbstsicheren Renzi seit seinem Amts- antritt vor zweieinhalb Jahren. Gegen die Reform, die eine Zurückstufung des Senats auf eine nicht mehr direkt gewählte Länderkammer mit eingeschränkten Kompetenzen vorsieht, hat sich eine breite Allianz gebildet: Berlusconi und die radikale Linke kämpfen Seite an Seite gegen die Vorlage; ebenso die Protestbewegung von Beppe Grillo und die fremdenfeindliche Lega Nord.
Aber auch etliche Kollegen aus Renzis Partito Democratico machen Stimmung gegen die Reform, allen voran der frühere Premier Massimo D’Alema. Bei D’Alema und zahlreichen anderen Gegnern ist es offensichtlich, dass es ihnen weniger um die Reform geht als darum, den ungeliebten Renzi loszuwerden. Trotz seines Rückziehers muss der Regierungschef befürchten, dass er die Geister, die er rief, nicht mehr loswird: Schließlich könnte eine Niederlage in der Abstimmung unkalkulierbare politische Dynamiken zur Folge haben. Noch ist der Ausgang des Votums völlig offen: Gegner und Befürworter der Reform halten sich in Umfragen die Waage.
Alternative „Grillini“
Doch spätestens seit im Juli bekannt wurde, dass Italiens Wirtschaft nach einem kurzen, schwächlichen Aufschwung wieder zum Nullwachstum zurückgekehrt ist, kann sich Renzi auch nicht mehr als der große Modernisierer und Erneuerer Italiens feiern lassen, als der er sich seit seinem Amtsantritt gerne anpreist.
Und so blicken Italiens EUPartner mit Sorge auf die Volksabstimmung im Herbst. Denn eine Niederlage Renzis mit anschließender Regierungskrise und Neuwahlen würde mit einiger Wahrscheinlichkeit die euroskeptischen „Grillini“an die Macht katapultieren. Trotz der mäßigen Erfolgsbilanz des 40-jährigen Premierministers wäre dies für die meisten europäischen Nachbarn die mulmigere Perspektive.
Es war eine wahrlich bemerkenswerte Fehleinschätzung: Matteo Renzis Entschluss, den Ausgang des Referendums über seine Verfassungsreform ohne Not zur Schicksalsentscheidung hochzuspielen, war leichtsinnig, die Personalisierung vermessen. Eine umso schlechtere Figur gab der Premier nun ab, als er die großspurige Ankündigung kleinlaut zurücknahm. Das Eingeständnis, doch in jedem Fall bis zu den nächsten Wahlen im Amt bleiben zu wollen, ist peinlich. Richtig ist es dennoch.
Denn immerhin – hier trifft die Dramatisierung zu – geht es bei dem Votum nicht um Renzi, sondern um den größten politischen Umbau im Italien der Nachkriegszeit. Der Senat soll degradiert, das blockadeanfällige System repariert werden. Durch das Parlament hat der Premier das Vorhaben bereits gebracht – was erstaunlich ist: Schließlich haben sich Italiens Politiker, nicht eben für ihre Selbstlosigkeit bekannt, damit selbst entmachtet. Durchgesetzt hat sich Renzi mit den Stimmen so mancher Abgeordneten, die sich jetzt plötzlich lauthals dagegen aussprechen.
Renzis Beliebtheitswerte sind schlechter als früher, aber immer noch besser als die seiner meisten Kollegen in der EU. Es war gerade Renzis Personalisierung, die nun die gesamte Opposition in einem Ziel vereint: Nicht die Reform wollen sie zu Fall bringen, sondern Renzi. Die Vorlage dafür hat er selbst geliefert. Die Italiener von den Vorzügen seiner Reform zu überzeugen wird nun noch schwieriger.