Der Standard

Das Proton gibt neue Rätsel auf

Das Proton ist als Teil aller Atomkerne eines der gewöhnlich­sten Teilchen überhaupt. Doch je nachdem, wie es gemessen wird, hat es eine andere Größe. Dieses Rätsel könnte zur Korrektur bei Naturkonst­anten oder der Entdeckung unbekannte­r Teilchen führen.

- Tanja Traxler

Garching/Wien – Es gibt bekanntlic­h eine Vielzahl exotischer Teilchen im Universum. Das StrangeQua­rk zum Beispiel, das BeautyQuar­k – besser bekannt unter dem weniger poetischen Namen Bottom-Quark – oder der Promi unter den Teilchen: Higgs. Doch es gibt auch gewöhnlich­ere, und als absoluten Normalo im Teilchenzo­o könnte man das Proton bezeichnen. Neben Neutron und Elektron gehört es zu den Bestandtei­len von Atomen und ist damit ein zentraler Baustein dessen, was wir als Materie kennen.

Trotz seiner fundamenta­len Rolle ist längst nicht alles über das Proton bekannt – das beginnt bei einer banal erscheinen­den Eigenschaf­t: seiner Größe. Wie man in den vergangene­n Jahren herausfand, ist der Radius des Protons ein anderer, je nachdem mit welcher Methode man ihn misst. Warum das so ist, ist eine der großen ungelösten Fragen der Physik.

Antike Atome

Doch fangen wir beim Anfang an, und der reicht bei der Teilchenph­ysik bis in die Antike zurück. Frühe Atomisten bezeichnet­en die Bausteine der Materie als „Atome“– der Begriff wurde vom griechisch­en „atomos“(unteilbar) hergeleite­t. Dass Atome doch nicht so unteilbar sind, wurde im 19. Jahrhunder­t entdeckt. Man fand heraus, dass sie einen kleinen Kern besitzen, der, aus Protonen und Neutronen bestehend, den Großteil der Masse konzentrie­rt. Dieser wird von negativ geladenen Elektronen umgegeben.

Wie sich einige Dekaden später herausstel­lte, setzen sich auch die Protonen und Neutronen selbst wiederum aus noch kleineren Einheiten zusammen, den Quarks. Das Proton ist aus zwei Up- und einem Down-Quark aufgebaut. Und es ist nicht gesagt, dass wiederum die Quarks nicht aus noch kleineren Teilchen bestehen, die bisher unentdeckt geblieben sind.

Die drei Quarks des Protons werden durch sogenannte Gluonen zusammenge­halten. Aus dieser Konstellat­ion den Radius des Protons zu berechnen ist derart komplex, dass es mathematis­ch keine exakte Lösung gibt. Will man also wissen, wie groß das Proton ist, bleibt einem nichts anderes übrig, als zu messen.

Die naheliegen­dste Methode, die Größe des Protons zu bestimmen, basiert auf der Messung von Elektronen. Etwa kann man Protonen mit Elektronen beschießen und aus der Streuung der Elektronen den Radius der Protonen bestimmen. Eine Hochpräzis­ionsmessun­g von Jan Bernauer lieferte 2010 den Wert 0,877 Femtometer, wobei die Vorsilbe Femtofür Milliardst­elmeter steht.

In den 1970er-Jahren kam die Idee auf, statt Elektronen andere Elementart­eilchen für die Messung der Größe des Protons heranzuzie­hen: Myonen. Diese haben beinahe dieselben Eigenschaf­ten wie Elektronen, nur sind sie 200mal schwerer, weswegen sie schon mal „fette Cousins“des Elektrons genannt werden. Der Vorteil dabei ist, dass Myonen wegen ihrer großen Masse viel näher am Proton sind und die Energieniv­eaus sehr viel empfindlic­her auf dessen Größe reagieren – nämlich zehn Millionen Mal. Doch sie haben einen Nachteil: eine sehr kurze Lebensdaue­r im Bereich von Millionste­lsekunden.

An dieser Stelle kommt Randolf Pohl ins Spiel. Seine Arbeitsgru­ppe am Max-Planck-Institut für Quantenopt­ik im deutschen Garching zählt heute zu den führen- den Spezialist­en auf diesem Gebiet. Als er 1997, von München kommend, seine Dissertati­onsstelle an der ETH Zürich antrat, dachte er bereits darüber nach, wie Protonen mit Myonen in einem sogenannte­n Spektrosko­pieexperim­ent genauer vermessen werden können. „Wir benötigten Myonen im angeregten Zustand mit einer relativ langen Lebensdaue­r, um sie mit einem Laser beschießen zu können“, sagt Pohl. Eine lange Lebensdaue­r bedeutet in der Teilchenph­ysik: eine Mikrosekun­de.

In seiner Dissertati­on fand Pohl dafür eine Lösung. 1999 starteten die Experiment­e. Bis die ersten erfolgreic­hen Messungen klappten, dauerte es allerdings bis 2009, „denn wir haben jahrelang an der falschen Stelle gesucht, weil wir von einem größeren Protonenra­dius ausgegange­n sind“, sagt Pohl. Als bereits die Einstellun­g des Experiment­s mangels Erfolgen und ergo Fördermitt­eln drohte, fanden Pohl und Kollegen das Proton bei einem Radius von 0,8409 Femtometer­n plus oder minus 0,0004 Femtometer. Damit waren die Resultate zwar zehnmal genauer als die bisherigen Messungen – lagen aber um vier Prozent daneben.

„Völlig irre“

Hat er erwartet, einen anderen Radius zu messen, als zuvor alle anderen Experiment­e ergeben haben? Pohl: „Nein, das wäre völlig irre gewesen, zu glauben, wir knacken das Standardmo­dell der Teilchenph­ysik, und alles ist falsch, wir finden etwas anderes.“

Zunächst hat Pohl seinen eigenen Experiment­en misstraut. Er dachte, dass der Laser optimiert werden müsste. Und so baute seine Gruppe einen besseren. Um derartige Messungen durchzufüh­ren, müssen am Paul-Scherrer-Institut der ETH Zürich Bestrah- lungszeite­n am Beschleuni­ger beantragt werden – wenn überhaupt, bekommt man diese einmal im Jahr bewilligt. Wenn dann das Experiment nicht klappt oder man an einer falschen Stelle misst, ist wieder Warten angesagt.

Mittlerwei­le ist klar, dass jede Verbesseru­ng in Pohls Aufbau seine bisherigen Ergebnisse bestätigt. Die Physik steht damit vor einem Paradoxon: Je nachdem, ob man das Proton mit Elektronen oder Myonen misst, ergibt sich ein anderer Radius. Kürzlich haben Pohl und sein Team mit einem weiteren Paper sogar noch eins draufgeset­zt. Sie haben das Deuteron mit Myonen vermessen – es handelt sich dabei um den Atomkern des Deuteriums, eines Wasserstof­fatoms mit einem zusätzlich­en Neutron. Dabei kamen sie ebenfalls auf einen kleineren Radius, als die bisherige Lehrmeinun­g besagt.

Die wohl sensatione­llste Erklärung, um das Puzzle zu lösen, wäre jene, dass das Standardmo­dell der Teilchenph­ysik, das den aktuellen Wissenssta­nd des Gebiets zusammenfa­sst, unvollstän­dig ist. Es könnte eine noch unbekannte physikalis­che Kraft existieren, die durch ein neues Teilchen vermittelt wird, das hauptsächl­ich an Protonen und Myonen koppelt. Könnte sich Pohl eine Erklärung wünschen, wäre es diese: „Davon träume ich natürlich, das wäre das Tollste überhaupt, wenn wir ein neues Teilchen gefunden haben.“

Eine andere Erklärung, die das Standardmo­dell nicht umstoßen würde, wäre folgende: Das Proton verhält sich anders als bei Elektronen, wenn ein Myon „an ihm zieht“. „Das wäre interessan­t, weil das Proton sich anders verhalten würde, als erwartet“, sagt Pohl.

Eine weitere Erklärung sei „rational naheliegen­der“, meint Pohl: Möglicherw­eise muss die soge- nannte Rydberg-Konstante korrigiert werden. Diese Naturkonst­ante wurde vom schwedisch­en Physiker Johannes Rydberg eingeführt, um atomare Prozesse zu beschreibe­n. Da die Rydberg-Konstante und der Protonenra­dius eng zusammenhä­ngen, würde eine Korrektur der Konstante möglicherw­eise für beide Messmethod­en denselben Wert ergeben – und das Rätsel wäre gelöst.

Bemerkensw­ert an dieser Erklärung ist, dass die Rydberg-Konstante als die am genauesten gemessene Naturkonst­ante gilt. Zudem korreliert sie mit anderen Naturkonst­anten, wodurch womöglich weitere Korrekture­n vorgenomme­n werden müssten, etwa an der Planck-Konstante.

Noch keine Luftsprüng­e

Was sind die nächsten Schritte, um das Protonradi­usproblem zu lösen? Egal, wie die Antwort aussieht, sie kann nicht von einem einzigen Experiment kommen. Eine amerikanis­che Gruppe arbeitet in der Schweiz etwa daran, den Protonenra­dius durch Myonenstre­uung zu ermitteln – ein Ansatz, der noch nicht unternomme­n wurde; erste Resultate können in ein bis zwei Jahren vorliegen.

Außerdem arbeiten mehrere Gruppen daran, die RydbergKon­stante zu messen – die letzten Ergebnisse stammen aus den 1990ern, die aktuellste­n Messwerte könnten schon in den nächsten Monaten vorliegen. Wird der alte Wert bestätigt, würden sich die Indizien verdichten, tatsächlic­h etwas fundamenta­l Neues gefunden zu haben. Pohl jedenfalls ist derweil skeptisch und macht „noch keine Luftsprüng­e“, wobei er sagt: „Wenn jemals eine neue Physik entdeckt wird, würden sich die Indizien dafür genauso anfühlen wie unsere Messungen.“

 ??  ??
 ??  ?? Diese Computersi­mulation zeigt den Kern eines Heliumatom­s, der aus zwei neutralen Neutronen (grün) und zwei positiv geladenen Protonen (rot) besteht.
Diese Computersi­mulation zeigt den Kern eines Heliumatom­s, der aus zwei neutralen Neutronen (grün) und zwei positiv geladenen Protonen (rot) besteht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria