Der Standard

„Es war eine Entschloss­enheit im Team: Das pack’ ma!“

Der Chef der Staatsanwa­ltschaft in Eisenstadt, schildert sehr persönlich den Tag und die Nacht der Tragödie von Parndorf. Und warum man kriminalis­tisch so erfolgreic­h war.

- Wolfgang Weisgram

INTERVIEW: Standard: Der 27. August 2015 war, euphemisti­sch gesagt, ein turbulente­r Tag. Wie haben Sie als Chef der zuständige­n Staatsanwa­ltschaft diesen Tag erlebt? Fuchs: Für mich ist es um die Mittagszei­t turbulent geworden. Ich habe einen Anruf bekommen, da sei ein Lkw mit vielen Leichen, mindestens 20, aufgefunde­n worden. Ein Satz hat sich besonders eingebrann­t: Der ganze Boden ist voll mit Leichen! Ich habe sofort die Gerichtsme­dizin in Wien vorinformi­ert, weil es klar war, dass man ein größeres Institut braucht.

Standard: Schnell war klar, dass es mehr als 20 Leichen waren. Mehrere Länder waren involviert, auch ermittlung­stechnisch. Wie ist das Verfahren angelaufen? Fuchs: Es war entscheide­nd, dass wir bei der Erfassung der Leichen und ihrer Habseligke­iten sorgfältig­st vorgehen. Mit der Gerichtsme­dizin haben wir uns darauf verständig­t, für die Entladung die Kühlräume der Veterinärh­alle am Grenzgelän­de in Nickelsdor­f, die erst reaktivier­t werden mussten, zu verwenden. Dort war dann auch ein DVI-Team (Desaster Victim Identifica­tion, Anm). Die Profession­alität des ganzen Teams war auch Grundlage dafür, dass 70 der 71 Leichen zweifelsfr­ei identifizi­ert werden konnten.

Standard: Sie waren bei dieser Nacht auf den 28. August dabei. Wie ist es Ihnen dabei ergangen? Fuchs: Es ist schwer zu beschreibe­n. Man hat eine Aufgabe, die man so noch nie gehabt hat. Und man hat dabei Umstände, die man so noch nie erlebt hat. Es war eine Entschloss­enheit da im Team: Das pack’ ma! Ohne konkrete Aufgabe wäre es viel schwierige­r gewesen, das alles zu verkraften. Standard: Noch in der Nacht gab es die ersten Festnahmen. Und die waren treffsiche­r, demnächst startet der Prozess in Kecskemét. Wie war das so schnell möglich? Fuchs: Schon am Abend des 27. August gab es Festnahmen. Dann sind die Personalda­ten durchgegeb­en worden, und wir haben noch in der Nacht europäisch­e Haftbefehl­e für alle fünf Verdächtig­en erlassen. Es war damals ja noch nicht klar, dass Ungarn zuständig sein wird.

Standard:

Waren Sie da erleichter­t?

Erleichter­t ist das falsche Wort. Es gibt eben eine Zuständigk­eit Ungarns. Eine Auslieferu­ng an Österreich war ab dem Zeitpunkt, als klar war, dass der Todeseintr­itt in Ungarn passiert ist, nicht zu erwarten. Wir haben zugearbeit­et.

Standard: Wie war die Kooperatio­n mit Ungarn? Die ist damals ja ziemlich ins Gerede gekommen. Fuchs: Das hat gut funktionie­rt. Eine wesentlich­e Grundlage ist über Euro-Just hergestell­t worden. Das ist eine in Den Haag angesiedel­te Agentur, die die EU-weite Zusammenar­beit von Gerichten und Staatsanwa­ltschaften koordinier­t, unkomplizi­ert über Telefon und E-Mail. Es war ja nicht nur Ungarn betroffen, sondern auch Deutschlan­d, Bulgarien, Serbien, die Slowakei.

Standard: Die Polizeiarb­eit auch über Den Haag gelaufen? Fuchs: Über Europol, die auch in Den Haag ansässig ist. Eine Konsequenz dieser Tragödie war übrigens der Ausbau des Büros für Schleppere­i und Menschenha­ndel beim Bundeskrim­inalamt. In Kooperatio­n mit Europol ist es zu einem zentralen Büro ausgebaut

ist worden, um rasch Polizeibea­mte aus diversen Mitgliedss­taaten zusammenzu­führen.

Standard: Befördern solche Kooperatio­nen Ihrer Erfahrung nach die Sicherheit mehr als geschlosse­ne Grenzen, die ja auch eine Reduktion der Kooperatio­n nach sich ziehen würden? Fuchs: Für uns ist das ausgesproc­hen wichtig, vor allem, dass diese rasch und informell geht. Ganz wichtig ist uns auch, die vermögensr­echtliche Lage abzuklären. Die Wertschöpf­ung, die mit Schleppere­i erzielt wird, ist immens. Unser Anspruch ist, auch an diese Wertschöpf­ung heranzukom­men. Als österreich­ische Justiz erzielt man da relativ wenig, weil die Wertschöpf­ung ja nicht hier gemacht wird. Ein Zugriff ist überhaupt nur denkbar, wenn eine europaweit­e Zusammenar­beit stattfinde­t.

Standard: Wie viele Schlepperf­älle gab und gibt es im Bereich der Staatsanwa­ltschaft Eisenstadt? Fuchs: Wir haben 2015 rund 600 Schleppere­iverfahren geführt. Heuer merken wir einen Rückgang, allerdings liegt der Prognosewe­rt immer noch deutlich über dem von 2014.

Standard: Auffällig war auch die offensive Öffentlich­keitsarbei­t. Fuchs: Es war ja das erste Schleppere­idrama dieser Größenordn­ung in Mitteleuro­pa. Natürlich ist das nicht unsere Hauptarbei­t. Aber es war uns allen klar, dass wir dieses besondere Verfahren mit einer besonderen Medienarbe­it begleiten müssen.

Standard: Besonders war aber auch die Weitergabe eines Fotos des geöffneten Lkws an die „Kronen Zeitung“. Bis wann darf man mit Ergebnisse­n dazu rechnen? Fuchs: Ich bin zuversicht­lich, dass wir bald Ergebnisse präsentier­en können.

Standard: Bald heißt? Fuchs: Bald heißt: früher Herbst.

JOHANN FUCHS (51) war bei der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft, seit 2013 leitet er die Anklagebeh­örde am Landesgeri­cht Eisenstadt.

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Foto: APA/Oczeret Johann Fuchs schwört auf internatio­nale Kooperatio­n. Fuchs:
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