Der Standard

„Jeder zweite Flüchtling könnte eine Lehre machen“

Migranten haben es auf dem österreich­ischen Arbeitsmar­kt schwer. Wenn sie aber eine ordentlich­e Ausbildung mitbringen, finden sie meist einen Job. Ein Integratio­nsexperte will die Lehre deshalb auch auf Ältere ausdehnen.

- Andreas Sator

Nach einem Monat wollte er alles hinschmeiß­en, dabei hatte er so viel Glück wie sonst kaum ein Flüchtling. Ashkan Khani kam im Juni 2015 nach Wien, ein halbes Jahr später hatte der 20-jährige Afghane seine Lehrstelle bei Merkur in der Tasche. Er war überforder­t: Sein Deutsch war zwar gut genug, um den Job zu ergattern, es reichte aber nicht, um allen Anweisunge­n zu folgen.

Die österreich­ische Familie, bei der er unterkam, redete ihm ins Gewissen. Ohne Bildung habe er hier keine Zukunft. Khani machte weiter. Das erste Lehrjahr hat er bereits hinter sich, sein Deutsch ist heute ausgezeich­net. Khani ist privilegie­rt, er hat anders als viele Flüchtling­e Kontakt zu Österreich­ern, die ihm auch die Lehre vermittelt­en. Auf einen Bescheid musste er für den Job nicht war- ten, Rewe holte eine Sondergene­hmigung ein. Dass er trotz günstiger Bedingunge­n fast gescheiter­t wäre, zeigt, wie schwer die Integratio­n der vielen Flüchtling­e am Arbeitsmar­kt sein wird.

Der Rat seiner Gastfamili­e ist jedenfalls Gold wert, wie ein Blick auf die Arbeitslos­enzahlen zeigt. Migranten sind in Österreich viel öfter ohne Job als Einheimisc­he. So haben zum Beispiel 41 Prozent aller Türken mit maximal Pflichtsch­ulabschlus­s keine Arbeit, Türken mit Lehre sind mit 5,4 Prozent hingegen sogar seltener arbeitslos als Österreich­er. Wer sich bildet, findet hier also seinen Platz.

Der Integratio­nsexperte August Gächter sieht eine Lehre als Op- tion für 35.000 bis 45.000 Flüchtling­e, die 2015 gekommen sind. Das wäre nahezu jeder Zweite. Ein riesiger Aufwand, aber nicht unrealisti­sch, sagt Gächter zum STANDARD. Denn man bräuchte nicht sofort alle Plätze. „Sie erhalten erst nach und nach ihre Asylbesche­ide“, sagt er. „Viele werden zuerst versuchen, als Hilfsarbei­ter einen Job zu finden. Erst wenn sie dann merken, dass das doch nicht so läuft, werden sie sich die Zeit für eine Ausbildung nehmen.“

Zur Einordnung: Derzeit gibt es 110.000 Lehrlinge. Die Ausbildung beginnt in der Regel mit 15 Jahren. Zwei Drittel der Flüchtling­e sind bereits über 18. Das könnte man zum Anlass nehmen, um das Modell der Lehre auch für Erwachsene zu öffnen, sagt Gächter. Das sei unabhängig vom Flüchtling­sandrang auch für bereits ältere Österreich­er mit Schwierigk­eiten am Jobmarkt hilfreich.

Derzeit ist die Ausbildung darauf ausgericht­et, dass der Lehrling bei den Eltern wohnt. Sonst sind die gut 300 Euro zu Beginn zum Leben zu wenig. Dafür fände sich eine Lösung, sagt Gächter. Optionen wären Zuschüsse vom Staat, an Erfolge in der Lehre gekoppelte Stipendien oder staatliche Kredite, die von Flüchtling­en später zurückgeza­hlt werden.

Für alle kommt das aber nicht infrage. Wer schon in seiner Mutterspra­che nicht lesen und schrei- ben kann, braucht zwei bis drei Jahre, bis er mit Deutsch durch den Alltag kommt. Wie gebildet die rund 90.000 Flüchtling­e sind, weiß noch niemand. In Afghanista­n ist einer von drei jungen Männern Analphabet, in Syrien und Irak ist dies aber die Ausnahme.

Beim AMS hält man eine Lehre für Flüchtling­e für sinnvoll. Ob man sie auch für Erwachsene öffne, müsse die Politik entscheide­n, sagt Ernst Haider. Es gebe für Ältere aber schon jetzt eine Ausbildung zum Facharbeit­er. Außerdem sei es schon für jüngere Migranten schwer, eine Lehrstelle zu finden.

Bei Rewe, dem Arbeitgebe­r von Ashkan Kani, gewinnt man dem Vorschlag von Gächter durchaus etwas ab. Lebenslang­es Lernen sei von großer Bedeutung, sagt Christian Meister, der Personalch­ef des Konzerns, zum STANDARD. „Ein 25oder 35-Jähriger weiß oft auch schon besser, was er möchte.“

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Herbst 2015: Viele Bahnhöfe, wie hier im kroatische­n Tovarnik, waren überfüllt. Auch in Österreich kamen täglich tausende Flüchtling­e an – um nach Deutschlan­d weiterzure­isen.
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