Der Standard

Einer unter Tausenden

Der Afghane Ramin Siawash interviewt Flüchtling­e – und ist selbst einer

- Gudrun Springer

An die erste Nacht in Österreich erinnert sich Ramin Siawash nur schemenhaf­t. Der 23-Jährige lag krank auf einem Feldbett in einer großen Halle in Graz. Aus der Steiermark wurde er nach Wien gebracht, später ins Burgenland, dann wieder nach Wien. Seit Auflösung eines Rotkreuz-Notquartie­rs wohnt er mit rund 70 weiteren Flüchtling­en in einem Wohnhaus der Volkshilfe in Wien-Landstraße. Es ist ein früher Augustmorg­en, bald bricht der Afghane in blütenweiß­em Hemd auf. Eines seiner zahlreiche­n Projekte wartet.

„Viele sagen, dass man hierherkom­mt, um gratis zu essen und zu wohnen“, sagt der Journalist. Seit er einige Wochen nach der Einwanderu­ngswelle im Herbst 2015 in Österreich ankam, interviewt­e er unzählige Migranten, Helfer und politische Verantwort­liche zur Flüchtling­sbewegung. Siawashs Eindruck: Viele Asylwerber würden gerne arbeiten und nicht vom Geld des Staates leben. Zu negativen Schlagzeil­en über Flüchtling­e sagt er: „In jeder Gesellscha­ft gibt es gute und schlechte Menschen.“Trotz seiner vielen Beschäftig­ungen fällt ihm das Warten schwer: „Ich weiß nicht, was mit mir passieren wird.“Noch darf Siawash nicht erwerbstät­ig sein, das Asylverfah­ren läuft. Er kenne einen Landsmann, dem alles zu lange dauerte und der in die Heimat zurückkehr­te, wo Frau und Kind verzweifel­t gewartet hätten.

Ramin Siawash spricht fließend Englisch. Regelmäßig gestaltet er Sendungen auf Radio Orange zur Flüchtling­ssituation, und er nimmt an einem diesbezügl­ichen UN-Projekt teil. Bevor Siawash österreich­ischen Boden betrat, habe er keine Vorstellun­g von dem Land gehabt: „Mein Ziel war, einen sicheren Ort zu finden.“Täglich erkundige sich seine Familie in Afghanista­n, ob es ihm gutgehe. Er habe alles ganz plötzlich verlassen müssen, unter anderem auch die von ihm gegründete Schule in Kabul.

Um ein Zwischenre­sümee gebeten, zeigt er sich zufrieden mit seinen Deutschfor­tschritten. Andere lernen die Sprache – er hat Kurslevel B1 – weit nicht so schnell. Siawash beherrscht­e schon die Schrift und weiß vom Studium, wie man lernt. Er ist außerdem froh über seine Radiosendu­ngen – und darüber, dass er viele Freunde fand. In einem Jahr will er noch mehr: mehr Deutschken­ntnisse, mehr Radiosendu­ngen, mehr Freunde. Und einen „echten“Job.

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Foto: spri Ramin Siawash suchte Sicherheit – und kam nach Graz.

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