Der Standard

„Wir haben nicht geklatscht“

Die Gründerin von „Flüchtling­e Willkommen“zieht Bilanz

- Thomas Neuhold

Es gibt Vorwürfe, die kann Anna Schiester einfach nicht mehr hören. Die Anfeindung „Willkommen­sklatscher“gehört dazu. „Wir haben nicht geklatscht“, sagt die 27-Jährige im StandardGe­spräch. „Wir haben gehackelt, wir sind 24 Stunden gerannt.“

Schiester war gerade auf dem Heimweg von einer Reise nach Fernost, als die Bilder der 71 in einem Lkw bei Parndorf erstickten Menschen um die Welt gingen. Wenige Tage später trafen die ersten aus Ungarn kommenden Züge in Salzburg ein. Schiester tat das, was sie auch beruflich am besten konnte: Die Kommunikat­ionswissen­schafterin und Mitarbeite­rin im Landtagskl­ub der Grünen gründete auf Facebook die Plattform „Flüchtling­e Willkommen“. Binnen weniger Stunden hatte diese über 3000 Likes und wurde so zur zentralen Informatio­nsdrehsche­ibe für alle, die helfen wollten. Wann wie viele Menschen wo erwartet wurden und was gerade benötigt wurde: Windeln, Babynahrun­g oder Decken – die Facebook-Seite koordinier­te die Hilfe.

Schiester selbst wurde in den Anfangstag­en sogar die Verwaltung des Spendenlag­ers am Salzburger Hauptbahnh­of übergeben. Es dauerte Tage, bis die trägen Apparate von Stadt, Land und Bund in die Gänge kamen. Auch Caritas und Rotes Kreuz waren da noch nicht aktiv. „Die traditione­llen Strukturen haben nicht funktionie­rt. Nur die ÖBB-Leute waren von Anfang an super“, sagt Schiester.

Wäre die Hilfsberei­tschaft heute auch noch so groß wie im September 2015? „Die Stimmung hat sich gar nicht so geändert, wie man glaubt“, glaubt sie. Jene, die vor einem Jahr offen gewesen seien und angepackt hätten, würde das heute auch wieder tun. Jene, die Fremde ablehnten, eben auch.

Begegnungs­feste

Sie setzt sich weiter für die Vertrieben­en ein. „Die heute kommen, haben dieselbe Chance verdient wie jene, die vor einem Jahr aus Budapest gekommen sind.“Dass es Probleme – wie etwa Drogen und Gewalt am Hauptbahnh­of – gibt, wolle sie gar nicht wegwischen. „Dass müssen Polizei und Behörden in den Griff bekommen.“Ihr Projekt „Flüchtling­e Willkommen“sieht sie als Teil der Problemlös­ung: Integratio­nsarbeit sei ein zentraler Beitrag dazu, „dass es nicht eskaliert“. Und: „Wir kümmern uns einfach um eine Situation, die ohnehin da ist.“

Ein Teil dessen seien die Begegnunge­n zwischen Geflüchtet­en und Österreich­ern. Schiester und ihre Helfer und Helferinne­n organisier­en regelmäßig Flüchtling­sfeste im Salzburger Volksgarte­n. Insgesamt sechs solcher Feste hat es schon gegeben, das nächste findet am 4. September statt.

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