Der Standard

Italien verschärft Asylpraxis, um Anträgen Herr zu werden

Angesichts zehntausen­der anhängiger Asylgesuch­e strafft Italien die Asylverfah­ren. Außerdem sollen abgelehnte Gesuchstel­ler konsequent­er abgeschobe­n und nicht mehr nur zum Verlassen des Landes aufgeforde­rt werden.

- Dominik Straub aus Rom

Obwohl Italien seit Jahren mit hohen Flüchtling­szahlen konfrontie­rt ist, blieb die Zahl der Asylgesuch­e im Vergleich zu anderen Ländern lange niedrig: Bis 2013 wurden lediglich 10.000 und 25.000 Gesuche jährlich registrier­t – weit weniger als in Deutschlan­d oder Schweden. In den letzten Jahren aber sind die Gesuchszah­len in die Höhe geschnellt: 2014, als mehr als 170.000 Bootsflüch­tlinge an Italiens Küsten landeten, wurden 65.000 Asylgesuch­e gestellt, 2015 stieg die Zahl auf 84.000. Und im laufenden Jahr werden die Gesuche laut dem nationalen Asyl-Präfekten Angelo Trovato um etwa 60 Prozent ansteigen.

Die Behörden sind damit überforder­t – inzwischen warten zehntausen­de Asylbewerb­er auf einen Entscheid. Das Hauptprobl­em bilden die Rekurse, die von den ohnehin schon überlastet­en Zivilgeric­hten behandelt werden. Bis ein Rekurs entschiede­n ist, können zwei Jahre oder mehr verstreich­en. Derzeit werden rund 60 Prozent der Gesuche negativ entschiede­n; fast alle abgelehnte­n Bewerber wehren sich.

Die Regierung von Matteo Renzi will deshalb die Notbremse ziehen: Justizmini­ster Andrea Orlando hat in der vergangene­n Woche eine deutliche Straffung der Asylverfah­ren angekündig­t. Demnach soll es künftig nur noch eine einzige Rekursinst­anz geben; das neue Gremium soll aus spezialisi­erten Richtern bestehen. Die Rekurse werden laut Orlando außerdem nur noch aufgrund der Akten entschiede­n; der Gesuchstel­ler wird nicht mehr angehört.

Gleichzeit­ig kündigte der Justizmini­ster an, dass abgelehnte Asylbewerb­er in Zukunft konsequent­er abgeschobe­n werden sollen. Die heutige Praxis besteht meist darin, dass den abgelehnte­n Asylbewerb­ern das sogenannte „foglio di via“in die Hand gedrückt wird, also eine schriftlic­he Aufforderu­ng, das Land zu verlassen. Das tun aber die wenigsten der Betroffene­n. Künftig sollen die abgelehnte­n Asylbewerb­er vermehrt an die Grenze begleitet oder in ein Flugzeug mit Ziel Herkunftsl­and gesetzt werden. Doch das ist oft nicht möglich: Die meisten stammen aus afrikanisc­hen Ländern, mit denen Italien keine Abkommen über die Rücknahme hat abschließe­n können.

Wichtigste­s Zielland

Die Erfolgsaus­sichten der verschärft­en Abschiebep­raxis scheinen fraglich. Regierungs­chef Renzi hat den EU-Partnern deshalb schon vor den Sommerferi­en einen sogenannte­n „Migration Compact“vorgeschla­gen. Dieser sieht eine Erhöhung der EU-Entwicklun­gshilfe vor, die Herkunftsl­ändern zugutekomm­en soll, die bei der Rücknahme ihrer Bürgerinne­n und Bürger kooperiere­n.

Seit der Schließung der Balkanrout­e in diesem Frühjahr ist Italien wieder zum wichtigste­n Ziel der Flüchtling­sströme geworden: Alleine im Juli sind 25.300 Migranten in Italien angekommen; im ersten Halbjahr waren es insgesamt 95.000 gewesen. Das entspricht mehr als 90 Prozent aller Flüchtling­e, die heuer in Europa bisher registrier­t worden sind.

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Ungarn rollte im Sommer 2015 als erstes Land Nato-Draht an den Grenzen aus. Lesbos war eine der Zwischenst­ationen im Mittelmeer. Viele überlebten die Überfahrt nicht.
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