Der Standard

Ungarn: Land der Zäune, Land der Vogelscheu­chen

Flüchtling­e sind noch immer nicht willkommen

- Gregor Mayer aus Budapest

Auf einmal sind sie wieder da. Eng an eng drängen sich die schäbigen, kleinen, gelben, grünen oder braunen Zelte in der Unterführu­ng beim Budapester Ostbahnhof aneinander – zum Trocknen ausgebreit­ete Wäschestüc­ke, Kartons mit Essensrest­en, Müllhaufen überall, der Lärm quengelnde­r Kleinkinde­r, der Mief von menschlich­en Ausdünstun­gen, feuchter Kleidung, Urin.

Entwarnung. Was sich da in den ersten Augusttage­n unter dem Budapester Ostbahnhof ausbreitet­e, war nur ein Filmset. Kornél Mundruczó, der internatio­nal gefeierte Shootingst­ar des ungarische­n Kunstkinos, drehte Außenszene­n für seinen Streifen Der überflüssi­ge Mensch. Es ist eine dystopisch­e Vision von einem Europa, in dem mit scharfer Munition auf Flüchtling­e geschossen wird, in dem Flüchtling­e in Straflager­n interniert sind. Für die Szenen muss Mundruczó – wie er in einem Interview im Mai verriet – Statisten aus Deutschlan­d „importiere­n“. Denn in Ungarn gibt es so gut wie keine Flüchtling­e mehr.

Ein Jahr nach der großen Flüchtling­swanderung ist Ungarn jenes europäisch­e Land, das der düsteren Prophezeiu­ng in Mun- druczós Film am nächsten kommt. Täglich verletzen sich Menschen auf der Flucht an den scharfen Klingen der Stacheldra­htrollen am Zaun, den Ungarns rechtspopu­listischer Premier Viktor Orbán im vergangene­n Herbst an den Südgrenzen errichten ließ.

Illegale Rückschieb­ungen

Täglich werden seit Anfang Juli Asylsuchen­de, die den Zaun überwunden haben, von ungarische­n Polizisten und Soldaten illegal über die Grenze nach Serbien zurückgesc­hoben. Vor allem junge Männer werden dabei immer wieder geschlagen, getreten, von den Hunden der Ordnungshü­ter angegriffe­n – das geht aus Zeugenauss­agen hervor, die das UN-Flüchtling­shilfswerk und Human Rights Watch gesammelt haben.

Sich witzig fühlende Polizisten, Soldaten oder „Feldhüter“schmücken neuerdings die Stacheldra­htkrone des Grenzzauns mit Vogelscheu­chen, die sie aus Stroh und Feldfrücht­en anfertigen. Sie sollen die Flüchtling­e „abschrecke­n“. György Schöpflin, ein Abgeordnet­er der Orbán-Partei Fidesz im Europaparl­ament, ist das noch nicht genug. „Schweinekö­pfe würden noch effektiver abschrecke­n“, twitterte er vor ein paar Tagen.

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