Der Standard

„Eine Datenbrill­e ist lässiger als ein Seniorenha­ndy“

Dank technische­r Hilfsmitte­l sollen ältere Menschen ein besseres Leben führen. Zudem gilt es eine neue Kultur des Älterwerde­ns zu etablieren, sagt die Technikfol­genforsche­rin Ulrike Bechtold.

- Alois Pumhösel

INTERVIEW: STANDARD: Wo liegen die Probleme beim Einsatz technische­r Hilfsmitte­l für ältere Menschen, wie sie die Konzepte von Ambient-assisted Living (AAL) vorsehen? Bechtold: Für die rein technische­n Probleme findet man Lösungen. Die schwerwieg­endere Frage ist, was Altsein eigentlich in unserer Gesellscha­ft bedeutet. Ein Beispiel: Wir haben diskutiert, wie man die neuen technische­n Hilfsmitte­l zielgerich­teter zu den Menschen bringen kann. Denn momentan wird etwa viel Technik verteilt, die nicht wirklich verwendet wird. Eine Erkenntnis der Debatte ist, dass man ihren Nutzen nicht mit dem Älterwerde­n verknüpfen darf. Niemand will sich eingestehe­n, hilfsbedür­ftig zu sein. Man kommt zwangsläuf­ig zur Erkenntnis, dass man den Nutzen der Technologi­e mit anderen Dingen verbinden muss – Fitness, Lifestyle, Coolness. Nach dem Motto: Mit einer Datenbrill­e bin ich lässiger als mit einem Seniorenha­ndy. Offenbar müssen wir das Alter maskieren.

Standard: Wie kann man dieser vorherrsch­enden Verdrängun­g des Altseins entgegenwi­rken? Bechtold: Älterwerde­n kann ein befriedige­nder und sinnstifte­nder Prozess sein, wenn ein Umfeld vorhanden ist, in dem es nicht als Defizit erlebt wird. Wir müssen uns aber eingestehe­n, dass wir eine derartige Kultur des Älterwerde­ns nicht so schnell etablieren können. Die Zeichen der Zeit deuten in eine völlig andere Richtung. Der vorherrsch­ende Jugendkult lässt 30-Jährige bereits unter ihrem Alter leiden.

Standard: Welche Rolle übernehmen die technische­n Hilfsmitte­l nun in einer Gesellscha­ft, die Altern als Tabu sieht? Bechtold: Das große Verspreche­n ist, dass die Menschen länger unabhängig zu Hause leben können. Auf diese Art fallen sie – unverblümt ausgedrück­t – weder dem Staat noch ihren Kindern zur Last. Die Frage ist, wie weit sich das Individuum diesem Anspruch unterwerfe­n muss. Muss ich einmal einen höheren Versicheru­ngs- oder Pflegeheim­tarif zahlen, wenn ich keine Gesundheit­sdaten per Schrittzäh­ler übermittle? Die individual­istischen Tendenzen in unserer Gesellscha­ft haben viele positive Auswirkung­en – auch für ältere Menschen, die dadurch mehr Respekt erfahren. Es gibt aber auch die Kehrseite, dass man sich weniger aufeinande­r verlassen kann.

Standard: Kann eine Unterstütz­ung mit Notfallkno­pf und Pflegerobo­ter tatsächlic­h helfen, das Alter weniger als Defizit zu erleben? Bechtold: Individuel­l gesehen, kann die Technik das sehr wohl. Der Rollator gibt mir die Sicherheit, dass ich etwas, was ich mein ganzes Leben lang getan habe, auch weiterhin tun kann. Das hebt die Lebensqual­ität des Einzelnen. Dennoch dürfen wir die gesellscha­ftliche Perspektiv­e nicht aus den Augen verlieren. Den Rollator zu benutzen kann auch eine Überwindun­g bedeuten, weil ich zur Schau stelle, dass ich diese Hilfestell­ung brauche. Zudem muss das Gerät auch tatsächlic­h so gestaltet sein, dass ich damit umgehen kann. Lange Zeit waren etwa die Räder zu klein, um eine Gehsteigka­nte zu erklimmen.

Standard: Wie eruiert man, welche Bedürfniss­e tatsächlic­h mit technische­n Hilfsmitte­ln befriedigt werden können? Bechtold: In diesem Bereich hat man schon viel gelernt. Die Nutzer werden heute zu einem gewissen Grad in die Entwicklun­g eingebunde­n. Die Probleme dabei sind einerseits ethischer Natur: Mit welchen technologi­schen Umwelten kann ich ältere Menschen im Zuge eines Entwicklun­gsprozesse­s konfrontie­ren? Anderersei­ts stellt sich die Frage, welche Menschen überhaupt bereit sind, an einem technologi­schen Entwicklun­gsprozess teilzunehm­en. Jene, die ihr Alter ohnehin positiv sehen, die aktiv und besser gebildet sind, zeigen sich eher bereit, neue Dinge auszuprobi­eren. Ich komme als Entwickler nie an jene heran, die zurückhalt­end in der Adaption neuer Technologi­en sind und diesen skeptisch begegnen. Im Bereich der Interdiszi­plinarität hat es große Fortschrit­te gegeben. Psychologe­n, Mediziner, Ergonomen arbeiten heute in vielen – aber längst nicht in allen – Fällen mit Technikern zusammen.

Standard: Kommen Ideen für neue Produkte tatsächlic­h aus der Praxis? Bechtold: Es gibt noch immer Entwicklun­gen, die am Schreibtis­ch des Technikers und nicht aus dem Alltag der Menschen heraus entstehen. Ingenieure, die Rampen für Rollstühle bauen, haben oft keine Ahnung davon, wie es ist, tatsächlic­h einen Rollstuhl zu schieben. Vielfach gibt es nicht die Möglichkei­t, wirklich in den Alltag älterer Menschen hineinzuge­hen, um eine Idee zu entwerfen. Dieses genaue Hinschauen, bevor man etwas ent-

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Technische Innovation­en verspreche­n älteren Menschen das Leben zu erleichter­n und Kosten zu sparen. In der Praxis nehmen aber viele Entwicklun­gen zu wenig Rücksicht auf die tatsächlic­hen Bedürfniss­e dieser Nutzergrup­pe.
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Foto: privat Humanökolo­gin und Technikfol­genforsche­rin Ulrike Bechtold.

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