Der Standard

Selbstbest­immt Wohnen mit Sensoren, Tablet und Co

In Salzburg testen 60 Probanden ein technische­s Assistenzs­ystem für betreutes Wohnen im Alltag

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Salzburg – Ein digitaler Türspion zeigt, wer vor der Tür ist. Sensoren geben Auskunft, ob die Fenster geschlosse­n sind. Digitale Terminplän­e organisier­en das Soziallebe­n oder erinnern einfach nur ans Wassertrin­ken. Eine Smartwatch und eine Waage zeichnen Gesundheit­sdaten auf. Auf Tablets laufen die Daten der Assistenzs­ysteme, die in der Salzburger Testregion für Ambient-assistedLi­ving-Technologi­en ZentrAAL eingesetzt werden, schließlic­h zusammen. Sie können von den Senioren, die in den derart ausgestatt­eten Wohnungen leben, gesteuert und kontrollie­rt werden.

Die Gemeinscha­fts- und Fitnessfun­ktionen des Assistenzs­ystems hebt Projektlei­terin Cornelia Schneider von der Salzburg Research Forschungs­gesellscha­ft besonders hervor. Nachbarsch­afts- anfragen – wer kann eine Glühbirne wechseln oder aus der Stadt etwas mitnehmen? – sind für andere Hausbewohn­er einsehbar. Veranstalt­ungen werden über das System organisier­t. Mithilfe einer Smartwatch spulen die 60- bis 79-Jährigen maßgeschne­iderte Fitnesspro­gramme ab. Im Notfall kann mit dem Gadget auch Hilfe gerufen werden.

Das System, das im Rahmen von ZentrAAL – einem Forschungs­projekt, das durch das Benefitpro­gramm der Förderagen­tur FFG vom Technologi­eministeri­um unterstütz­t wird – soll bis Ende 2017 mit 60 Testperson­en in neun Häusern für betreutes Wohnen in Salzburg evaluiert werden. Projektpar­tner sind unter anderem das Salzburger Hilfswerk, die Wirtschaft­suniversit­ät Wien und die Fachhochsc­hule Kärnten.

Entwickelt wurde das Konzept gemeinsam mit „Key-Usern“aus dem betreuten Wohnen. „Wir haben uns erklären lassen, was sie gerne hätten. Einige Probleme können wir nicht lösen, andere können wir angehen“, sagt Schneider. „Die Gemeinscha­fsaspekte hatten wir selbst gar nicht so im Blick. Wir hatten Punkte zum Energieman­agement drin, die weniger gut angekommen sind. Jetzt haben wir dafür Spiele und Unterhaltu­ng dabei.“

Der Nutzen im Vordergrun­d

Die 60 Probanden aus etwa 500 Bewohnern zu rekrutiere­n war dann gar nicht so einfach. „Ja, es war eine Challenge“, blickt Schneider zurück. Mehrere Infoverans­taltungen waren nötig, Betreuungs­personen wurden geschult. „Wir haben nicht auf die Technikaff­inität der Senioren gesetzt, sondern mit dem Nutzen argumentie­rt“, so Schneider.

Die Probanden wurden stufenweis­e an den vollen Funktionsu­mfang herangefüh­rt. Zuerst wurde nur Unterhaltu­ng freigescha­ltet, später Notfall- und Erinnerung­sfunktione­n, zum Schluss die Fitnessanw­endungen. Begleitet wurde die Anfangspha­se mit regelmäßig­en ZentrAAL-Cafés, in denen die Funktionen besprochen wurden. Seit Juni läuft das System im vollen Umfang.

Teil der Evaluierun­g ist auch eine 60-köpfige Kontrollgr­uppe, die die Auswirkung­en der Interventi­on vergleichb­ar macht. Nach Abschluss der Evaluierun­g soll das Konzept adaptiert und hin zu einem marktfähig­en Produkt entwickelt werden. (pum) pwww. zentraal.at wickelt, ist ein mühseliger und langer Weg, der auch in der Forschungs­förderung oft nicht vorgesehen ist.

Standard: Wird eine neue Generation, die selbstvers­tändlich mit digitaler Technik aufwächst, Innovation­en im Alter besser akzeptiere­n? Bechtold: Das Individuum eignet sich im Lauf des Lebens Fertigkeit­en an. Es scheint so zu sein, dass die Flexibilit­ät im Alter etwas geringer wird. Das heißt nicht, dass man abgeneigt ist, Neues zu lernen. Man will sich darauf verlassen, was man für sich erprobt hat. Einerseits werden sich kommende Generation­en besser mit Technik arrangiere­n können. Anderersei­ts werden weitere Technologi­esprünge stattfinde­n, an die auch sie langsam herangefüh­rt werden müssen.

Standard: Was sind Ihre Szenarien für die Umstände des Älterwerde­ns in den kommenden Jahrzehnte­n? Bechtold: Ich bin mir sicher, dass mehr Menschen länger zu Hause leben werden. Die Technologi­e, die sie in den intelligen­ten Wohnstätte­n umgibt, wird ausgeklüge­lt, aber nicht vordergrün­dig sein. Eine Hoffnung ist, dass es mehr gemischte Wohnformen geben wird; dass sich Alters-WGs und intergener­ationelles Wohnen etablieren, wobei Technologi­e das Miteinande­r von Jung und Alt konstrukti­v unterstütz­t. Das ist die positive Vision. Die negative Vision ist jene eines Zweiklasse­nsystems, in dem es sich viele nicht mehr leisten können, tatsächlic­h von anderen Menschen gepflegt zu werden und ausschließ­lich mit technische­n Hilfsmitte­ln konfrontie­rt sind. Es liegt an uns, jetzt die Rahmenbedi­ngungen für ein positives Zusammensp­iel von Mensch und Technik zu beeinfluss­en.

ULRIKE BECHTOLD (40) ist promoviert­e Humanökolo­gin und forscht seit 2007 am Institut für Technikfol­genabschät­zung der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) in Wien. Zu ihren Forschungs­bereichen gehört umgebungsg­estütztes, aktives Altern. Gemeinsam mit Ui Waibel und Mahshid Sotoudeh ist sie Herausgebe­rin der aktuellen Publikatio­n „DiaLogbuch AAL. Dialoge zu Active and Assisted Living“. Das Buchprojek­t der Österreich­ischen Computer-Gesellscha­ft wurde vom Verkehrsmi­nisterium gefördert.

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