Mit Bestrahlung gegen Krebs
Am Ionentherapiezentrum MedAustron läuft im November der klinische Betrieb an
Wiener Neustadt – Wenn alles nach Plan läuft, sollen ab November die ersten Patienten im Ionentherapiezentrum MedAustron in Wiener Neustadt, Niederösterreich, behandelt werden. Der Hintergrund: Der Einsatz von Ionenstrahlen verspricht gezieltere und schonendere Behandlung von Krebserkrankungen. Denn wenn die Ionen – das sind elektrisch geladene Teilchen – in das menschliche Gewebe eindringen, geben sie am Reichweitenende, also wenn sie schon sehr langsam sind, die meiste Energie ab.
Dank dieses sogenannten Bragg-Peak-Effekts entfalten die Strahlen ihre Wirkung punktgenau, die Energie aus den Ionen kann die DNS der Krebszellen schädigen und den Tumor zerstören. Im Vergleich zur Radiotherapie mit Photonen ist dies nicht nur wirksamer, sondern schont umliegendes Gewebe besser. Besonders effizient erscheint nach heutigem Wissensstand dabei der Einsatz von Kohlenstoffionen.
In Wiener Neustadt sollen jährlich rund 1200 Patienten behandelt werden. Dazu stehen drei Behandlungsräume zur Verfügung, in welche die jeweils die benötigten Strahlen gelenkt werden. Ein vierter Raum, der vergangene Woche eröffnet wurde, steht der nichtklinischen Forschung zur Verfügung. Denn bezüglich der Nutzung von Ionenstrahlen gibt es sowohl für die Medizin als auch für andere Wissenschaften noch einiges zu erforschen.
Thomas Schreiner ist bei MedAustron für diese nichtklinische Forschung verantwortlich: „Wir können jene Strahlen verwenden, wie sie auch in den medizinischen Räumen angewendet werden, dazu aber auch solche mit deutlich höherer Geschwindigkeit.“Bei den Therapien werden Protonenstrahlen mit einer Energie von maximal 250 MeV (Megaelektronenvolt) eingesetzt, in der Forschung solche mit bis zu 800 MeV.
Testgelände für Physiker
Erforscht wird im medizinischen Bereich unter anderem, wie der Einsatz von Bildgebung die punktgenaue Bestrahlung der Tumore ermöglichen kann. „Je genauer bestrahlt werden kann, desto genauer muss man wissen, wo der Tumor ist.“Entsprechende Erkenntnisse könnten rasch in die Therapie übergeleitet werden. Untersucht werden soll auch, wie sich Strahlen auf bestimmte Organe und Gewebeteile auswirken.
Darüber hinaus wird der Strahlenraum am MedAustron unter anderem Physikern zur Verfügung stehen, auch um Versuchsanordnungen für größere Teilchenbe- schleuniger zunächst einmal in einem kleineren Rahmen ausprobieren zu können.
Die Zusage, eine eigene Infrastruktur für Forschung zu Ionenstrahlen zu haben, führte zur Schaffung von drei Professuren: An der Wiener Medizinuniversität wurden die Fächer „Medizinische Strahlenphysik und Onkotechnologie“sowie „Angewandte und Translationale Strahlenbiologie“eingerichtet.
Translational bedeutet die Zusammenarbeit von Wissenschaftern unterschiedlicher Disziplinen, um die Erkenntnisse präklinischer Forschung in den klinischen Bereich – also in die therapeutische Praxis – zu übertragen. An der Technischen Universität Wien wurde eine neue Professur im Bereich Strahlenphysik geschaffen.
Verantwortlich für die nichtklinische Forschung im MedAustron ist ein eigenes Unternehmen: Die PEG MedAustron wurde vor elf Jahren gegründet. 67 Prozent davon trägt der Bund, 33 Prozent das Land Niederösterreich, Geschäftsführer ist Thomas Schreiner. Insgesamt wurde dieser Bereich mit knapp 47 Millionen Euro gefördert, wovon der Großteil vom Wissenschaftsministerium kam.
Im Gegenzug können die Einrichtungen von nichtkommerziellen Forschungsinstitutionen ge- nutzt werden. Die Organisation läuft über die PEG MedAustron; es wird auch die Zusammenarbeit mit internationalen Einrichtungen angestrebt.
LHC im Kleinformat
Seit kurzem laufen die Abnahmetests für den Strahlenraum der Forschung, ab Oktober soll laut Schreiner mit den Forschungsprogrammen begonnen werden. „Vorerst stehen dafür 40 Stunden pro Woche zur Verfügung.“
Auf die Therapie soll das keine Auswirkungen haben, die Forscher wollen jene Zeiten nutzen, in denen keine Behandlungen durchgeführt werden, also nachts und am Wochenende. Erzeugt werden die Ionenstrahlen am MedAustron in einem ringförmigen Teilchenbeschleuniger nach Art des Large Hadron Collider (LHC) des Kernforschungszentrums Cern in der Schweiz. Die Teilchen erreichen dabei eine Geschwindigkeit von zwei Dritteln der Lichtgeschwindigkeit.
Eine Besonderheit von MedAustron ist die Genauigkeit, mit der der Therapiestrahl auf die Patienten gerichtet werden kann: Mittels dreidimensionaler Aufnahmen soll der Tumor ganz genau lokalisiert werden.
Zunächst werden Protonen, ab übernächstem Jahr auch Kohlenstoffionen zum Einsatz kommen. Ab 2020 könnten zudem Ionen aus Helium und Sauerstoff verwendet werden.