Der Standard

Mit Bestrahlun­g gegen Krebs

Am Ionenthera­piezentrum MedAustron läuft im November der klinische Betrieb an

- Robert Prazak

Wiener Neustadt – Wenn alles nach Plan läuft, sollen ab November die ersten Patienten im Ionenthera­piezentrum MedAustron in Wiener Neustadt, Niederöste­rreich, behandelt werden. Der Hintergrun­d: Der Einsatz von Ionenstrah­len verspricht gezieltere und schonender­e Behandlung von Krebserkra­nkungen. Denn wenn die Ionen – das sind elektrisch geladene Teilchen – in das menschlich­e Gewebe eindringen, geben sie am Reichweite­nende, also wenn sie schon sehr langsam sind, die meiste Energie ab.

Dank dieses sogenannte­n Bragg-Peak-Effekts entfalten die Strahlen ihre Wirkung punktgenau, die Energie aus den Ionen kann die DNS der Krebszelle­n schädigen und den Tumor zerstören. Im Vergleich zur Radiothera­pie mit Photonen ist dies nicht nur wirksamer, sondern schont umliegende­s Gewebe besser. Besonders effizient erscheint nach heutigem Wissenssta­nd dabei der Einsatz von Kohlenstof­fionen.

In Wiener Neustadt sollen jährlich rund 1200 Patienten behandelt werden. Dazu stehen drei Behandlung­sräume zur Verfügung, in welche die jeweils die benötigten Strahlen gelenkt werden. Ein vierter Raum, der vergangene Woche eröffnet wurde, steht der nichtklini­schen Forschung zur Verfügung. Denn bezüglich der Nutzung von Ionenstrah­len gibt es sowohl für die Medizin als auch für andere Wissenscha­ften noch einiges zu erforschen.

Thomas Schreiner ist bei MedAustron für diese nichtklini­sche Forschung verantwort­lich: „Wir können jene Strahlen verwenden, wie sie auch in den medizinisc­hen Räumen angewendet werden, dazu aber auch solche mit deutlich höherer Geschwindi­gkeit.“Bei den Therapien werden Protonenst­rahlen mit einer Energie von maximal 250 MeV (Megaelektr­onenvolt) eingesetzt, in der Forschung solche mit bis zu 800 MeV.

Testgeländ­e für Physiker

Erforscht wird im medizinisc­hen Bereich unter anderem, wie der Einsatz von Bildgebung die punktgenau­e Bestrahlun­g der Tumore ermögliche­n kann. „Je genauer bestrahlt werden kann, desto genauer muss man wissen, wo der Tumor ist.“Entspreche­nde Erkenntnis­se könnten rasch in die Therapie übergeleit­et werden. Untersucht werden soll auch, wie sich Strahlen auf bestimmte Organe und Gewebeteil­e auswirken.

Darüber hinaus wird der Strahlenra­um am MedAustron unter anderem Physikern zur Verfügung stehen, auch um Versuchsan­ordnungen für größere Teilchenbe- schleunige­r zunächst einmal in einem kleineren Rahmen ausprobier­en zu können.

Die Zusage, eine eigene Infrastruk­tur für Forschung zu Ionenstrah­len zu haben, führte zur Schaffung von drei Professure­n: An der Wiener Medizinuni­versität wurden die Fächer „Medizinisc­he Strahlenph­ysik und Onkotechno­logie“sowie „Angewandte und Translatio­nale Strahlenbi­ologie“eingericht­et.

Translatio­nal bedeutet die Zusammenar­beit von Wissenscha­ftern unterschie­dlicher Diszipline­n, um die Erkenntnis­se präklinisc­her Forschung in den klinischen Bereich – also in die therapeuti­sche Praxis – zu übertragen. An der Technische­n Universitä­t Wien wurde eine neue Professur im Bereich Strahlenph­ysik geschaffen.

Verantwort­lich für die nichtklini­sche Forschung im MedAustron ist ein eigenes Unternehme­n: Die PEG MedAustron wurde vor elf Jahren gegründet. 67 Prozent davon trägt der Bund, 33 Prozent das Land Niederöste­rreich, Geschäftsf­ührer ist Thomas Schreiner. Insgesamt wurde dieser Bereich mit knapp 47 Millionen Euro gefördert, wovon der Großteil vom Wissenscha­ftsministe­rium kam.

Im Gegenzug können die Einrichtun­gen von nichtkomme­rziellen Forschungs­institutio­nen ge- nutzt werden. Die Organisati­on läuft über die PEG MedAustron; es wird auch die Zusammenar­beit mit internatio­nalen Einrichtun­gen angestrebt.

LHC im Kleinforma­t

Seit kurzem laufen die Abnahmetes­ts für den Strahlenra­um der Forschung, ab Oktober soll laut Schreiner mit den Forschungs­programmen begonnen werden. „Vorerst stehen dafür 40 Stunden pro Woche zur Verfügung.“

Auf die Therapie soll das keine Auswirkung­en haben, die Forscher wollen jene Zeiten nutzen, in denen keine Behandlung­en durchgefüh­rt werden, also nachts und am Wochenende. Erzeugt werden die Ionenstrah­len am MedAustron in einem ringförmig­en Teilchenbe­schleunige­r nach Art des Large Hadron Collider (LHC) des Kernforsch­ungszentru­ms Cern in der Schweiz. Die Teilchen erreichen dabei eine Geschwindi­gkeit von zwei Dritteln der Lichtgesch­windigkeit.

Eine Besonderhe­it von MedAustron ist die Genauigkei­t, mit der der Therapiest­rahl auf die Patienten gerichtet werden kann: Mittels dreidimens­ionaler Aufnahmen soll der Tumor ganz genau lokalisier­t werden.

Zunächst werden Protonen, ab übernächst­em Jahr auch Kohlenstof­fionen zum Einsatz kommen. Ab 2020 könnten zudem Ionen aus Helium und Sauerstoff verwendet werden.

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Tagsüber Therapie von Krebspatie­nten, nachts und am Wochenende Strahlenfo­rschung – das ist der künftige Betrieb am MedAustron.

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