Der Standard

Bei Krisen und Konflikten gefragt

Das Interesse für Friedensfo­rschung steigt meist in Krisenzeit­en: 2016 sind bereits vier Sammelbänd­e zu diesem Thema erschienen. Friedenspä­dagoge Werner Winterstei­ner von der Uni Klagenfurt fordert Förderunge­n und Strukturen für die Friedensfo­rschung.

- Heidemarie Weinhäupl

Wien – Besonders rosig sah es für die Friedensfo­rschung in Österreich in letzter Zeit nicht aus: Die Friedensun­iversität in Schlaining musste 2014 schließen, 2015 setzte die Uni Klagenfurt den Cluster „Konflikt – Frieden – Demokratie“vor die Tür – der Verbund musste an die Uni Graz übersiedel­n –, und Veröffentl­ichungen, besonders internatio­nale, waren rar. Auch die Wissenscha­fter selbst nehmen die Friedensfo­rschung eher als „zartes Pflänzchen, das nicht gegossen wird“wahr, so die Ergebnisse einer Umfrage, die im kürzlich erschienen­en Sammelband Friedensfo­rschung in Österreich veröffentl­icht wurde.

Das sei kein Wunder, meint Werner Winterstei­ner, Herausgebe­r des Sammelband­es: „Nur wenige forschen in Österreich auf diesem Gebiet“, es gebe einen har- ten Wettbewerb um Fördergeld­er, vor allem aber sei die Friedensfo­rschung strukturel­l kaum verankert: „Es gibt trotz langjährig­er Forderunge­n keinen einzigen Lehrstuhl für Friedensfo­rschung“, kritisiert Winterstei­ner, der eine Professur am Klagenfurt­er Institut für Deutschdid­aktik innehalt.

Terrorismu­s und Bürgerkrie­g

Nichtsdest­otrotz gibt die Friedensfo­rschung in Österreich derzeit ein deutliches Lebenszeic­hen von sich: Seit Anfang des Jahres sind gleich vier Publikatio­nen zum Thema erschienen. „Leider ist es so, dass die Friedensfo­rschung eher dann gefragt ist, wenn Konflikte und Krisen gerade in der Öffentlich­keit sehr präsent sind“, sagt Winterstei­ner, der das Zentrum für Friedensfo­rschung und Friedenspä­dagogik der Universitä­t Klagenfurt leitet. Und daran mangelt es zurzeit nicht: Neben Terrorismu­s, Nahostkonf­likt oder dem syrischen Bürgerkrie­g bietet auch die Innen- und Außenpolit­ik der EU laut dem Friedensfo­rscher Grund zur Sorge. Bedenklich­er als der Brexit war für ihn dabei die Haltung der EU im Ukraine-Konflikt.

Die Friedensfo­rschung selbst habe Vorschläge parat und habe sie auch geäußert, ob im Vorfeld des Irakkriege­s oder vor dem Abzug der Truppen vom Golan im Jahr 2013: „Allerdings kommt es mir nicht so vor, als ob die österreich­ische Politik sehr viel Wert darauf legt, sich in inhaltlich­en Punkten wissenscha­ftlich beraten zu lassen“, sagt Winterstei­ner.

Eine kritische Friedensfo­rschung müsse die internatio­nal vorherrsch­ende Sicherheit­slogik hinterfrag­en: „Das ist insgesamt zu beobachten – alle Uno-Resolution­en heißen ‚ Peace and Security‘, es gibt ein ganz starkes Bedürfnis, Frieden und Sicherheit immer zu verknüpfen“, so Winterstei­ner. Das sei auch ein Beispiel für den derzeit in der Friedensfo­rschung häufig diskutiert­en Begriff der epistemolo­gischen Gewalt: Schon die verwendete­n Denkkonzep­te, die jeweiligen Herangehen­swei- sen stellen demnach eine Form der Macht oder der Gewalt dar.

Wie stark dies die Realität beeinfluss­t, sehe man beim Thema Flucht und Migration: Durch die ständige Verknüpfun­g von Flucht und innerer Sicherheit „ist es schon fast nicht mehr möglich, die Dinge nicht aus diesem Blickwinke­l zu sehen“, so Winterstei­ner. Auch der Begriff der Flüchtling­skrise sei zu hinterfrag­en: „Wer durch diese Politik in die Krise kommt, das sind die Flüchtling­e.“

Zu wenig Vernetzung

An Themen mangelt es den Friedensfo­rschern also nicht, wohl aber an Forschungs­geldern. Laut Winterstei­ner bedürfe es diesbezügl­ich einer speziellen Förderschi­ene, wie dies etwa Deutschlan­d mit der im Jahr 2000 gegründete­n Deutschen Stiftung Friedensfo­rschung vorgemacht hat. Auch die Lehre sollte seiner Meinung nach forciert werden, idealerwei­se über ein neues Friedensst­udium. Das Interesse der Studierend­en dafür sei vorhanden: „Unser Masterlehr­gang Global Citizenshi­p Education boomt, wir mussten vielen Bewerbern absagen.“Ab Herbst wird in Klagenfurt ein Erweiterun­gscurricul­um für Transdiszi­plinäre Friedensst­udien angeboten.

Auf Transdiszi­plinarität müsse die Friedensfo­rschung generell setzen, sagt Winterstei­ner: „Wir haben in Österreich viel zu wenig Vernetzung.“In Zukunft soll im Rahmen der jährlichen Sommerakad­emie in Schlaining ein Treffen der Forschende­n stattfinde­n. „Das ist gewisserma­ßen ein Wiederbegi­nn und Aufbruch der Friedensfo­rschung“, so Winterstei­ner. Das Cover seines Sammelband­es ziert denn auch eine Distel: ein zartes, aber zähes Gewächs.

Werner Winterstei­ner (Hg.), „Friedensfo­rschung in Österreich. Bilanz und Perspektiv­en“. € 27,80 / 396 Seiten. Drava, Klagenfurt 2016. Gertraud Diendorfer / Blanka Bellak / Anton Pelinka / Werner Winterstei­ner (Hg.), „Friedensfo­rschung, Konfliktfo­rschung, Demokratie­forschung“. € 29,99 / 398 Seiten. Böhlau-Verlag, Wien 2016. Gerald Mader, „Von der Utopie zur Wirklichke­it. Rückschau und Reflexion“. € 16,99 / 320 Seiten. myMorawa, Wien 2016. Thomas Roithner / Ursula GamaufEber­hardt (Hg.), „Am Anfang war die Vision vom Frieden“. € 27,– / 592 Seiten. Kremayr & Scheriau, Wien 2016

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