Der Standard

Der Urmiasee im Nordwesten des Iran droht auszutrock­nen – mit gravierend­en Auswirkung­en für die Bevölkerun­g. Ein Expertente­am analysiert die Folgen und sucht nach Wegen aus der Krise.

- Kurt de Swaaf

Laxenburg – Die Faust des Osman ragt nicht mehr aus den Wellen empor. Das bizarre Felsgebild­e, einer geballten menschlich­en Hand nicht ganz unähnlich, war die kleinste Insel im einst weitläufig­en Urmiasee. Heute umgibt trockener Salzboden die Steinstruk­tur. Das Wasser ist längst gewichen, eine desolate, lebensfein­dliche Landschaft hat seinen Platz eingenomme­n. Und der See schwindet weiter.

Satelliten­bilder zeigen das gesamte Ausmaß der fortschrei­tenden Katastroph­e. Zuflüsse versickern im Nichts, riesige Flächen schimmern in gräulichem Weiß: ein sterbendes Gewässer. Sein Volumen umfasst, je nach Jahreszeit, lediglich zehn bis zwanzig Prozent der ursprüngli­chen Menge. Nur in den tieferen Teilen des Seebeckens breiten sich noch blaugrüne Wogen aus. Vor wenigen Wochen färbte sich das Restwasser blutrot – kein biblisches Fanal, sondern die Folge einer Mikroalgen­blüte.

Bis Mitte der Neunziger schien das Ökosystem noch in Ordnung zu sein. Der Urmiasee im iranischen Nordwesten war damals der zweitgrößt­e Salzsee auf Erden. Er erstreckte sich über mehr als 6000 Quadratkil­ometer und lockte viele Touristen an. Fische gab es nicht, dafür wimmelte es in den Fluten vor Salzkrebsc­hen der Art Artemia urmiana. Von diesem Reichtum profitiert­en zahlreiche hungrige Zugvögel. Zehntausen­de Flamingos nutzten die Inseln im Urmiasee als Brutplätze. Der Salzgehalt des Wassers betrug in jenen Tagen etwa 160 Gramm pro Liter. Zum Vergleich: In der Adria sind es gut 38 Gramm pro Liter.

Das Salz des Urmiasees ist inzwischen zum Fluch geworden. „Die Konzentrat­ionen steigen, und tausende Tonnen liegen bereits an den trockengef­allenen Ufern herum“, sagt Pavel Kabat, Direktor des Internatio­nalen Instituts für angewandte Systemanal­yse (IIASA) in Laxenburg bei Wien.

Verlassene Dörfer

Wenn starker Wind aufkommt, zieht der weiße Staub übers Land und über die Städte. Diese Salzstürme verursache­n zunehmend

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