Der Standard

„Im Quartett liegt etwas Magisches“

Vor mehr als vierzig Jahren gründete David Harrington das Kronos Quartet, das auf Schloss Esterházy gastiert. Ein Gespräch über die Kunst der Variation, die perfekte Zahl Vier und politische Botschafte­n in der Musik.

- INTERVIEW: Daniel Ender

Wien – Nach zehnjährig­er Österreich-Absenz gastiert das legendäre Kronos Quartet am Donnerstag in Eisenstadt. Im Mittelpunk­t steht dabei das Projekt „Fifty for the Future“, das in den nächsten fünf Jahren fünfzig Streichqua­rtett kompositio­nen hervorbrin­gen wird.

STANDARD: Für viele junge Leute ist das Kronos Quartet zum Inbegriff eines Streichqua­rtetts geworden. Dabei wurde es gegründet, um anders zu sein. Was war 1973 die Vision? Harrington: Ich wollte nie ein normaler Irgendwer sein. Ich war das auch nicht als Heranwachs­ender. Als ich mit zwölf Jahren in Seattle (Washington) damit begann, Streichqua­rtette von Haydn, Mozart und Beethoven zu spielen, war das keinesfall­s eine normale Sache. Als ich 1973 schließlic­h das Stück Black Angels von George Crumb hörte, hat sich für mich alles geklärt, und ich wusste in diesem Augenblick genau, was ich wollte. Als ich mir dann die Partitur besorgt hatte, wusste ich beim ersten Blick, dass man dafür ein Ensemble brauchen würde, das täglich proben musste, um diese Art von Musik wirklich spielen zu können. Wenn man damals in die Bibliothek von Seattle ging, gab es dort keine Musik aus Afrika, Asien oder Südamerika – es war unglaublic­h. Diese Leerstelle­n wollten wir füllen. STANDARD: Warum zog es Sie ausgerechn­et zur Streichqua­rtettbeset­zung? Harrington: Schon immer hat mich die Zahl Vier fasziniert. Es ist wirklich etwas Perfektes, zwei Geigen, eine Bratsche und ein Cello zu kombiniere­n und wie vier Personen eine Unterhaltu­ng führen zu lassen. Wenn ich im Trio gespielt habe, hatte ich immer das Gefühl, dass drei Solisten zusammenko­mmen. Wenn man zu fünft spielt, ist es schon ein Orchester. Aber im Quartett liegt etwas Magisches. Das Geniale dabei sind die grenzenlos­en Klangmögli­chkeiten. Von der ersten Probe an wollte ich das Kronos Quartet zwischen den Musikforme­n herummanöv­rieren lassen und ein Mosaik von Möglichkei­ten schaffen.

Es ist so, als ob unsere Instrument­e Chamäleons wären, die immer eine andere Farbe annehmen.

STANDARD: Von den Gründungsm­itgliedern sind heute nur noch Sie dabei. Hat sich das Selbstvers­tändnis im Laufe der Jahre verändert? Harrington: 1973 hoffte ich noch, dass wir eine Woche durchhalte­n! Ich hatte die Idee, Stücke aus allen möglichen Ecken der musikalisc­hen Landschaft zu spielen: Musik aus Afrika oder China. Oder Musik von Komponisti­nnen! Es gab so viele musikalisc­he Phänomene, die einfach nicht vorhanden waren. Wir konnten mit einigen wirklich wunderbare­n Musikern zusammenar­beiten, die für uns andere neue Möglichkei­ten eröffnet haben. STANDARD: Was waren für Sie in den mehr als vier Jahrzehnte­n die wichtigste­n Höhepunkte im Repertoire und an Konzertere­ignissen? Harrington: Es gab etliche Höhepunkte. In dieser Hinsicht hatten wir bisher Glück. Eines der großartigs­ten Dinge war, dass das allererste Stück, das für das Kronos Quartet geschriebe­n wurde, Traveling Music meines Lehrers und Freundes Ken Benshoof war – das gab mir die Zuversicht, dass wir es schaffen würden. Es war wie ein Sprungbret­t und ein sehr wichtiger Moment, als wir das Stück uraufführt­en. Natürlich war es auch ein Höhepunkt, als wir Black Angels erstmals spielen konnten. Oder die Zusammenar­beit mit Terry Riley in den letzten 35 Jahren, mit Steve Reich, mit Aleksandra Vrebalov, Astor Piazzolla, John Zorn, Henryk Górecki oder Vladimir Martynov. Oder als wir von Witold Lutosławsk­i unterricht­et wurden – das werde ich nie vergessen. Es war zauberhaft, wie er sein Stück geradezu für uns tanzte und wie ein Puppenspie­ler mit kleinen Elementen seiner Körperspra­che seine Musik erklärte.

STANDARD: Sie waren eines der ersten Ensembles, die das Projekt einer „Weltmusik“verfolgten. Was muss man tun, damit neue Musik, nichtwestl­iche Musik und Pop zusammenpa­ssen? Harrington: Schon wenn zwei verschiede­ne Komponiste­n für Streichqua­rtett schreiben, klingen sie anders. Was wir zu erreichen hoffen ist, dass wenn wir Terry Riley spielen, seinen spezifisch­en Sound finden, und wenn wir Jimi Hendrix interpreti­eren, seinen. Wir haben diesen Aspekt als fabelhafte­n Teil der Interpreta­tion von Musik entdeckt. Man muss sozusagen zu unterschie­dlichen Musikern werden. Ich werde nie vergessen, als Astor Piazzolla den Klang aus seinem Bandoneon herauszerr­te und ich es ihm an der Violine nachmachte. Es ist so, als ob unsere Instrument­e Chamöleons wären, die immer jene Farbe annehmen, die gerade gebraucht wird.

STANDARD: Ursprüngli­ch war angekündig­t, Sie würden in Eisenstadt auch Haydn spielen. Das ist offenbar nicht der Fall. Warum? Harrington: Auf eine bestimmte Art und Weise spielen wir dennoch Haydn. Das Kronos Quartet würde ohne ihn nicht existieren. Haydn ist die Grundlage aller Streichqua­rtette. Ich denke, alle Musiker arbeiten so, dass sie einfach Variatione­n bilden. Das machen wir auch.

STANDARD: Sehen Sie in Ihrer Kunst auch eine politische Botschaft? Harrington: Sicher. Jedes Mal, wenn wir eine Entscheidu­ng treffen – worüber auch immer –, drücken wir damit auch aus, in was für einer Welt wir leben wollen und was wir mit anderen Menschen teilen möchten.

STANDARD: Den USA und Österreich steht im Herbst eine Präsidente­nwahl bevor. Wie sehen Sie die Lage? Harrington: Für mich ist das, was bei dieser Wahl passiert, ganz ähnlich dem, was in einer Bar passiert. Wenn Sie um acht Uhr abends in eine Bar gehen, gibt es dort einen gewissen Lärmpegel. Dann trinken die Leute immer mehr, und neue Leute kommen herein und denken sich: „Gott, ist das laut hier!“Was in unserer Gesellscha­ft momentan passiert, ist ein zunehmende­s Schreien und Kreischen, und die Menschen scheinen sich daran zu gewöhnen. Wir waren während dieses Wahlkampfe­s einige Male im Ausland, und der Rest der Welt fragt sich, was mit unserer Kultur und Gesellscha­ft passiert. Wenn man es mit ein wenig Abstand betrachtet, ist das schon beunruhige­nd.

DAVID HARRINGTON, geboren 1949 in Portland, gründete 1973 das Kronos Quartet, das durch seine Verbindung von neuer Musik, nichtwestl­ichen Kulturen und Pop eine zentrale Position im internatio­nalen Musikleben einnimmt.

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Spielt auf eine bestimmte Art und Weise immer Haydn: David Harrington tritt mit seinem Kronos Quartet am Donnerstag im Schloss Esterházy in Eisenstadt auf.

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